Ich beobachte gerade bei vielen meiner Single-Freundinnen ein und dieselbe Sache: Sie alle haben keinen Bock mehr auf Online-Dating und den Männern gefühlt abgeschworen. Und ich versteh's irgendwie: Denn wenn man sich immer wieder neu auf eine Person einlässt und dann am Ende trotzdem wieder abserviert oder sogar geghostet wird, hat man nun mal irgendwann die Schnauze voll. Also zieht man 'ne Mauer um sein Herz. Mir ging es schon SO oft ähnlich. Und klar, so ein Verhalten gab's sicher auch schon vor Dating-Apps, aber durch das ständige Swipen ist das Ganze irgendwie noch viel extremer und oberflächlicher geworden. Und so etwas macht natürlich etwas mit einem und der Fähigkeit, wie und ob man überhaupt noch emotionale Nähe aufbauen oder sich auf eine Person einlassen kann.
„Apps erzeugen Matches am Fließband, Nähe bleibt dabei aber oftmals auf der Strecke“, weiß auch Philipp Schwarzenberg, Inhaber und Geschäftsführer der exklusiven Partnervermittlung Sympathica. Doch woran genau liegt das eigentlich? Was stellt das ständige Swipen wirklich mit uns an?
#1
Die Illusion unbegrenzter Auswahl macht uns bindungsunfähig
Starten wir mit dem Offensichtlichen. Immerhin funktionieren Dating-Apps nach einem simplen Prinzip: Gefällt uns etwas nicht, wischen wir weiter. Psycholog*innen sprechen hier vom „Paradox of Choice“ – je mehr Optionen wir haben, desto schwerer fällt es uns nämlich, eine Entscheidung zu treffen und mit ihr zufrieden zu sein. Bei Dating-Apps bedeutet das konkret: Selbst wenn wir jemanden treffen, der gut zu uns passen könnte, bleibt im Hinterkopf das Gefühl, nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft zu haben. Und statt kleine Macken oder anfängliche Unsicherheiten als normal zu akzeptieren, fragen wir uns, ob nicht doch noch jemand Besseres um die Ecke kommt.
Unser Gehirn gewöhnt sich also daran, dass wir jederzeit jemand Neues treffen könnten, und die innere Haltung verschiebt sich: Warum an etwas arbeiten, wenn die nächste Option nur einen Swipe entfernt ist? Bindungen wirken dadurch wie temporäre Stationen statt wie langfristige Entscheidungen.
Diese Oberflächlichkeit kotzt mich an!
Mal ehrlich: Wie sollen heutzutage bitte echte Bindungen entstehen, wenn kaum noch jemand bereit ist, dafür auch all in zu gehen? Denn natürlich ist es einfacher, mal kurz das Smartphone zu zücken und 'ne Runde zu swipen, als sich emotional wirklich zu öffnen und an einer (aufkeimenden) Beziehung zu arbeiten. Gerade dann, wenn's vielleicht etwas komplizierter wird. Und versteh mich nicht falsch: Niemand muss sich heutzutage natürlich festlegen, wenn er lieber die lockere Schiene fahren will. Nur wird dabei ja leider häufig nicht mit offenen Karten gespielt und das rosarote Luftschloss so lange oben gehalten, wie's nur geht. Und dann wird's für die andere Seite natürlich richtig fies, wenn das dicke Ende kommt ...
#2
Wir verlieren die Geduld für langsam wachsende Nähe
Jedes Match, jedes Like löst in unserem Gehirn einen kleinen Dopamin-Ausstoß aus – das Belohnungshormon, das uns auch bei anderen angenehmen Erlebnissen durchflutet. Dating-Apps sind darauf ausgelegt, uns diese schnellen Mini-Belohnungen immer wieder zu liefern: Ping, neues Match! Ping, neue Nachricht! Das Problem: Unser Gehirn gewöhnt sich an diese sogenannte Instant Gratification.
Echte Nähe und tiefe Bindung entwickeln sich aber langsam, manchmal über Wochen oder Monate. Wenn beim dritten Date nicht sofort die große Verliebtheit da ist oder es eine Phase gibt, in der es sich weniger aufregend anfühlt, werden wir ungeduldig. Statt der Person vor uns die Zeit zu geben, die echte Verbindung braucht, kehren wir innerlich oder tatsächlich zur App zurück, wo die nächste schnelle Belohnung schon wartet. Wir verwechseln den Nervenkitzel neuer Matches mit echter emotionaler Tiefe.
#3
Oberflächliche Profile ersetzen tiefe Gespräche
Profile auf Dating-Apps reduzieren komplexe Persönlichkeiten ja eigentlich auf wenige Fotos, den Beruf, Hobbys und vielleicht noch einen witzigen Spruch. Mehr bekommen wir oft nicht zu sehen, bevor wir eine Entscheidung treffen müssen. Menschen werden also zu einer Art Produkt, das sich vermarkten muss – und wir gewöhnen uns auch daran, andere anhand dieser „Verpackung“ zu beurteilen. Und diese Oberflächlichkeit setzt sich häufig fort: Chats bleiben beim Smalltalk stecken, echte Verletzlichkeit wird selten gezeigt. Dabei entsteht Intimität gerade durch das Teilen von Unsicherheiten, Ängsten und tieferen Gedanken.
Das Problem: Diese Checklisten-Mentalität nehmen wir oft mit ins echte Leben. Auch beim Date bewerten wir weiterhin nach ersten Eindrücken, statt dem Menschen vor uns Zeit zu geben, sich wirklich zu zeigen. Und anstatt uns zu fragen „Wie fühle ich mich in der Gegenwart dieses Menschen?“ versteifen wir uns auf Dinge wie „Erfüllt diese Person meine Kriterien?“. Doch wenn wir verlernen, die Schichten unter der Oberfläche zu entdecken, bleibt echte Verbindung unmöglich.
#4
Ghosting und Bindungsangst als Schutzmechanismus
Plötzlich bricht der Kontakt ab, Nachrichten bleiben unbeantwortet, die Person verschwindet einfach aus dem Leben. Ghosting ist in der Dating-App-Kultur so normal geworden, dass viele es als unvermeidlich akzeptieren. Doch die psychologischen Folgen sind nicht zu unterschätzen: Wiederholte Erfahrungen von plötzlichem Kontaktabbruch verschärfen Bindungsängste und führen dazu, dass Menschen ein Schutzverhalten entwickeln und sich lieber direkt zurückziehen.
Die Logik dahinter: Lieber gar nicht emotional investieren, als wieder verletzt zu werden. Diese erhöhte emotionale Distanz mag kurzfristig vor Enttäuschungen schützen, verhindert aber langfristig, dass echte Nähe entstehen kann. Wir halten uns zurück, bleiben unverbindlich und geben weniger von uns preis – aus Angst, die nächste Person könnte genauso plötzlich verschwinden.
Einmal zu viel ...
Ich glaube, diesen Punkt können viele nachempfinden – ich auch. Denn wenn man ständig geghostet wird oder Dates, mit denen gerade doch noch alles sooo gut lief, sich die Sache plötzlich aus unerklärlichen Gründen anders überlegen, dann macht das was mit einem. Man wird vorsichtiger, lässt Menschen nicht mehr so schnell an sich ran und verliert – dramatisch gesagt – vielleicht sogar irgendwann den Glauben daran, dass sich dieser Zustand jemals ändern wird. Und ja, Menschen wurden natürlich auch früher schon verletzt und zurückgewiesen, aber ich glaube, dass Dating-Apps die Häufigkeit einfach drastisch nach oben verschoben haben. Und das ist hart.
#5
Wir verlernen, authentisch zu sein
Dating-Apps „zwingen“ uns zur Selbstvermarktung: das perfekte Profilbild, der witzigste Bio-Text, die interessantesten Hobbys. Wir präsentieren eine optimierte Version von uns selbst, um in der Masse aufzufallen und möglichst viele Matches zu bekommen. Doch dieser Druck, sich ständig von der besten Seite zu zeigen, verschwindet nicht einfach, wenn wir die App verlassen.
Auch im echten Kennenlernen trauen wir uns dadurch oft nicht mehr, verletzlich oder unperfekt zu sein. Wir verstellen uns, verbergen Unsicherheiten und zeigen nur die Fassade, von der wir glauben, dass sie ankommt. Echte Intimität entsteht aber gerade dann, wenn wir den Mut haben, uns mit all unseren Ecken und Kanten zu zeigen. Wenn wir verlernen, authentisch zu sein, können wir uns zwar oberflächlich vernetzen, aber nie wirklich verbinden. Philipp Schwarzenberg von Sympathica sagt dazu ganz passend: „Algorithmen liefern zwar Matches, doch Beziehungen entstehen erst, wenn zwei Menschen ihre Bedeutung füreinander entdecken.“ Und das geht nicht über die reine Selbstdarstellung, sondern über Echtheit und den Willen, sich zu öffnen.
Und jetzt?
Also eines an dieser Stelle direkt mal vorweg: Dating-Apps sind natürlich nicht per se schlecht. Es ist super easy, darüber neue Leute kennenzulernen und JA, es gibt sogar Menschen, die online schon ihre große Liebe gefunden haben. ABER: Dating-Apps haben eben auch die Art verändert, wie wir uns binden – oder eben nicht binden. Denn nie war es einfacher, Leute mal eben „auszutauschen“, als heute. Ein Swipe und das nächste Match ist da. Und sowas hinterlässt natürlich Spuren. Wir nehmen diese Unsicherheit mit ins echte Leben, verstellen uns oder haben irgendwann überhaupt keine Lust mehr zu daten und Nähe zuzulassen, um nicht nochmal verletzt zu werden.
Habe ich dagegen jetzt DEN Nonplusultra-Tipp? Leider nicht. Aber ich denke, es ist nicht verkehrt, bei solchen Gefühlen dann wirklich einfach mal eine Pause von den Dating-Apps einzulegen und sich auf andere Sachen zu konzentrieren, wie es einige von meinen Freundinnen gerade auch tun. Das kann ein (neues) Hobby sein, ganz viel Me Time oder eben auch einfach Zeit mit den Menschen, bei denen sich Nähe schon jetzt ganz leicht anfühlt. Jap, ich rede von Friends und Family. Und wer weiß, vielleicht taucht dann plötzlich ja auch die eine Person auf, bei der es funkt. Nicht zwischen tausend anderen Matches, sondern einfach so, irgendwo im Real Life, perfekt unperfekt und ohne Filter.








