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Kommentar

Warum es völlig okay ist, nicht zu jedem Thema eine Meinung zu haben

Meinung bilden Zeit lassen

Ob Black Lives Matter, die US-Wahlen, Fridays for Future und nicht zuletzt die Frage nach dem Sinn oder Unsinn mancher Corona-Maßnahmen – all diesen Themen kann man sich differenziert widmen. Was aber insbesondere auf Social Media passiert: Neben Promis werden auch vermehrt alle anderen Nutzer dazu gedrängt, sich schnell und eindeutig zu positionieren. Genau das halte ich aber angesichts einer immer komplexer werdenden Welt nicht nur für unmöglich, sondern auch für ziemlich dumm. Einfach mal zu schweigen zeugt oft von mehr Intelligenz, als vereinfachte Statements auf Twitter, Facebook und Co. rauszuhauen. 

Als ich jung war, war die Welt noch schwarz-weiß

Es gab eine Zeit, in der alles noch wunderbar einfach war: Als ich mich in meiner Jugend anfing für politisch-gesellschaftliche Themen zu interessieren, hatte ich klare Standpunkte und Feindbilder. Die RAF fand ich gut, die USA böse, Fleischesser wollte ich am liebsten zum Veganismus zwingen, in Sachen Nahostkonflikt sah ich mich auf der Seite der Palästinenser und Heiraten war für mich ein patriarchales Konzept. Damals hielt ich es für richtig, radikal und eindeutig Stellung zu beziehen. Inzwischen habe ich all diese Haltungen komplett geändert. Warum? Ich habe mich in der Zwischenzeit intensiver mit diesen Themen auseinandergesetzt, habe durch mein langjähriges Studium erst ihre Komplexität erkannt – und bin wohl auch einfach älter geworden. Mit meinen 31 Jahren fühle ich mich zumindest deutlich weiser als mit 15 und muss eingestehen, dass ich mir aus Unwissen oft zu schnell eine Meinung gebildet habe.

Wer eine Meinung hat, ist nicht klüger

Keine Frage, es gibt auch nach wie vor Themen, über die ich gar nicht erst diskutieren will. Wenn es um das Existenzrecht Israels oder die Leugnung des Holocausts geht, muss ich nicht erst noch weitere dutzend Bücher lesen, um zu wissen, wo ich stehe. Selbstbewusst zu seiner Meinung zu stehen, insbesondere dann, wenn man selbst in der Minderheit ist oder daraus Nachteile zieht, halte ich durchaus für ehrenwert. Ich störe mich aber daran, wenn es grundsätzlich als erstrebenswert angesehen wird, eine eindeutige Position zu einem Thema zu haben.

Und genau das passiert immer mehr in den Sozialen Medien, wie sich beispielhaft an den Reaktionen nach dem gewaltsamen Tod George Floyds verdeutlichte: Wer am sogenannten Blackout Tuesday im Juni 2020 kein schwarzes Quadrat auf Instagram postete, machte sich – etwas vereinfacht ausgedrückt – verdächtig, ein Rassist zu sein. Influencer und Promis, die sich an diesem Tag nicht am Hashtag-Aktivismus beteiligten, wurden von Followern genötigt, sich zu rechtfertigen oder gar zu entschuldigen. Ob sie dabei wirklich verstanden hatten, warum es sich hier um eine rassistische Tat gehandelt hatte, war dabei unerheblich. Wichtig war allein, öffentlich ein eindeutiges Statement zu setzen. Dass zahlreiche Menschen dies für richtig hielten, möchte ich gar nicht kritisieren, sehr wohl aber, andere dafür an den Pranger zu stellen, keine Stellung zu beziehen. Ich habe mich an diesem Tag ganz bewusst nicht an dem Hashtag beteiligt. Zum einen halte ich Social Media-Aktivismus ohnehin eher für ein Mittel, das mehr der Selbstdarstellung als dem eigentlich Zweck dient. Zum anderen habe ich mich in meinem Studium so eingehend mit Rassismustheorien wie Critical Whiteness auseinandergesetzt, dass ich mich nicht uneingeschränkt mit der Black Lives Matter-Bewegung solidarisieren wollte. Also habe ich auf Facebook und Instagram zu diesem Thema geschwiegen: Nicht aus Desinteresse, Unwissen oder gar aus Respektlosigkeit vor George Floyd, sondern weil ich derart wichtige und komplexe Themen nicht mehr auf vereinfachte Parolen und Hashtags herunterbrechen will.

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Gegenmeinungen anhören statt Social Media-Blase

Die Erkenntnis, dass Reden oft Silber und Schweigen Gold ist, kam bei mir erst im zunehmenden Alter. Während ich mich in meinem Studium fast ausschließlich mit Menschen abgegeben habe, die meine politischen Meinungen teilten, versuche ich inzwischen immer öfter diese Blase zu verlassen. Das ist gar nicht so einfach, denn mit den Jahren baut man sich nicht nur im echten Leben, sondern auch auf Social Media eine Blase auf, die immer wieder nur die eigenen Meinungen bestätigt. So ist es auch kein Wunder, dass viele Menschen ihre Haltungen auch im zunehmenden Alter nie überdenken und revidieren. Ich kann aber nur dazu raten, sich bewusst auch mal anderen Meinungen auszusetzen, denn nur so musste ich kleinlaut die eine oder andere Haltung doch noch mal überdenken. Und damit meine ich nicht das schnelle Überfliegen von Tweets und Schlagzeilen. Nein, um komplexe Sachverhalte zu verstehen, sollte man doch auch lieber mal ein Buch zur Hand nehmen, oder sich mehrstündige Podcast-Gespräche, wie etwa die von Joe Rogan anhören. Erst so lernt man, dass man bei manchen Themen vielleicht nicht so schnell seinen Mund aufmachen, sondern sich erst ausgiebig informieren sollte.

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Nina Everwin

Lass dich niemals zu einem Standpunkt drängen!

Es kostet nicht nur Mut, seine Meinung zu vertreten, sondern auch, es nicht zu tun. Einzugestehen, dass man über ein Thema nicht ausreichend informiert ist, um Stellung zu beziehen, erfordert ein gewisses Selbstbewusstsein, denn es mag auf den ersten Blick wie ein Eingeständnis von Dummheit wirken. Je mehr man sich informiert – und damit meine ich, sich wirklich verschiedenen Perspektiven zu widmen – desto mehr wird man feststellen, dass sich die Welt nicht in Schwarz und Weiß einteilen lässt. Hab also den Mut, auch mal zu keiner Meinung zu stehen und lass dich bloß nie zu einer Haltung drängen. Denn sich vorschnell ein Urteil zu bilden, zeugt nur von einem sehr einfachen Weltbild und ganz sicher nicht von Intellekt.

Nina Everwin
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Bildquelle: Unsplash/Thought Catalog