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„Ich war immer die besondere Schneeflocke“: Die Diagnose ADHS und wie Linda damit lebt

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Seit Linda denken kann, hat sie sich anders gefühlt. Durch einen Zufall konnte sie den Grund für ihre Konzentrationsschwierigkeiten, schlechte Schulnoten und Impulsivität ausmachen: ADHS. Doch der Weg zur Diagnose war lang und bis heute fühlt sie sich mit ihrer Erkrankung auf sich allein gestellt. Da Expert*innen in dem Bereich fehlen, ist sie selbst aktiv geworden. Im desired-Podcast erzählt uns Linda ihre Geschichte. Vom Auffallen, Anpassen, Anderssein und teuren, nervigen „ADHS-Steuern.“

Linda ist eine Macherin: Nicht nur, dass sie den beschwerlichen und mutigen Weg auf sich genommen hat, herauszufinden, was „mit ihr nicht stimmt.“ Auf ihre AHDS-Diagnose hin, hat sie zwei Instagram-Accounts gegründet, die zusammen mehr als 72.000 Follower*innen haben. Einen deutschsprachigen Account (ADHS bei Frauen) und einen englischsprachigen (female adhd). Nun jongliert die 27-Jährige ihren Alltag zwischen ihrem Master-Studium, Job, Instagram-Accounts und den Herausforderungen einer ADHS-Erkrankungen.

Dies ist eine verkürzte, schriftliche Form unseres Podcasts. Die gesamte Folge kannst du hier hören.

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Desired: Linda, erzähl uns doch zu Beginn etwas über dich und deine ADHS-Diagnose.

Linda: Vor ungefähr zwei Jahren war ich in der Situation, dass ich im Drittversuch einer Prüfung hing und fünf Jahre Studium davon abhingen. Ich hatte wahnsinnig Angst und ich wusste gar nicht mehr, was ich machen soll. Dann hat mir eine Freundin etwas von ihrem Ritalin gegeben, unerlaubterweise. Ich habe es genommen und dann habe ich diese Prüfung bestanden! Das war total überraschend und sozusagen das erste Puzzleteil, wie ich überhaupt zu dieser Diagnose gekommen bin, denn vorher habe ich nie darüber nachgedacht, dass ich ADHS haben könnte – ich hatte das überhaupt gar nicht auf dem Schirm. Ich dachte, das haben kleine, zappelige Jungs. Als ich dann diese Diagnose erhalten habe, habe ich erst mal nach Informationen für Frauen mit ADHS gesucht und festgestellt, dass es da relativ wenig gibt. Deswegen habe ich meine Instagram-Kanäle gegründet.

Und wie war das für dich, die Diagnose zu bekommen?

Das war eine unglaubliche Erleichterung, denn ich habe mein ganzes Leben, die ganze Zeit, darüber nachgedacht, was ich haben könnte. Beziehungsweise irgendwie hat es sich immer angefühlt, als wäre ich anders. Das Gefühl habe ich dann aber beiseitegeschoben, als ich älter geworden bin. Als Teenager dachte ich dann „hey, ich bin so anders als alle anderen.“ Da fühlt man sich immer wie die ganz besondere Schneeflocke, die man halt gar nicht ist. Das mit dem Beiseiteschieben ging dann aber nicht mehr so richtig, denn ein Symptom von ADHS ist ja zum Beispiel, dass man sehr impulsiv ist. Und dann hatte ich manchmal Lust, sehr aufregende Dinge zu machen und bin dann doch wieder aufgefallen. Damit habe ich eigentlich mein ganzes Leben so zu kämpfen gehabt, dass ich aufgefallen bin und mich dann wieder stark angepasst habe.

Und als ich dann diese Diagnose bekommen habe, war das erst mal eine ganz, ganz große Erklärung für mein bisheriges Leben. Aber nicht nur positiv, sondern eben auch so ein „ach, hätte ich das mal früher gewusst“, dann wäre so viel anders gelaufen, so viel in der Schule wäre einfacher gewesen. Weil damit einhergehen natürlich auch ganz viele Selbstzweifel, wenn man Sachen nicht hinbekommt, also die Schulleistungen und so was. Oder auch im sozialen Bereich. Aber auf der anderen Seite war es dann gut zu wissen, was mit mir los war und ist.

Und jetzt hast du Schule angesprochen und impulsive Entscheidungen. Was war es noch, was dir immer das Gefühl vermittelt hat, anders zu sein?

Bei ADHS-lern ist es so, dass die emotionale Entwicklung ungefähr zwei Jahre hinter der Peergroup liegt. Aber dass die intellektuelle Entwicklung meistens ungefähr zwei Jahre weiter ist. Das heißt, man hat mit so einer Diskrepanz zu kämpfen, dass man irgendwie logische Zusammenhänge meistens recht gut versteht, aber eben emotional dann doch hinterher ist. Und das ist ganz, ganz schwierig so zusammenzubringen. Plus, sich eben nicht konzentrieren zu können.

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Bei mir war das auch so, dass ich keine guten Noten ab einem bestimmten Zeitpunkt mehr hatte, so zum Beispiel in Mathematik. Das ging dann so weit, dass ich in der achten Klasse einen Intelligenztest machen musste. Und in dem kam dann heraus, dass ich hochbegabt bin, also an der oberen Grenze. Das war sehr seltsam, weil die Lehrer mich dann anders behandelt haben – aber meine Noten sind trotzdem nicht unbedingt besser geworden, weil ich mich immer noch nicht konzentrieren konnte. Das war so verwirrend und sehr seltsam fürs Selbstbild in der Schule.

Wie ist das bei dir dann abgelaufen, bist du zu einem Psychologen, zu einer Therapeutin gegangen und hast gesagt, so, ich glaube, dass und das könnte bei mir los sein?

Es ist kein Psychologe darauf gekommen, mich auf ADHS zu untersuchen, ich bin selbst aktiv geworden, nachdem das mit dem Ritalin so gut geklappt hat. Es hat sich wirklich so angefühlt, als hätte ich plötzlich eine Brille auf und würde das erste Mal sehen, wie die Welt funktionieren könnte. Mit Ritalin habe ich diese Prüfung bestanden und dann noch eine Hausarbeit geschrieben. Und das hat so viel einfacher funktioniert als sonst! Sonst war das so die absolute Hölle. Ich habe fünfmal so lange gebraucht, um irgendwas zu verstehen wie Leute, die ich kannte. Tatsächlich bin ich dann auf dem Weg auf die Idee gekommen, zu einem Neurologen zu gehen.

Ihm habe ich dann erzählt, wie gut das mit dem Ritalin bei mir funktioniert hat. Und er meinte: „Okay, das ist schon ein interessanter Hinweis, dass sie das jetzt nicht aufputscht, sondern dass sie das eher ruhig macht.“ Daraufhin habe ich einen ADHS-Test gemacht, auf den ich bestimmt zwei Monate warten musste. Also die Wartelisten sind wahnsinnig lang! Bei dem Test kam dann raus, dass ich tatsächlich in beide Richtungen, in die Hyperaktivität als auch in die verträumte Richtung, viele Symptome habe. Danach wurde mir eine Form von Methylphenidat verschrieben, das ist derselbe Wirkstoff wie ein Ritalin, und das funktioniert sehr gut bei mir.

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Ein Experte auf dem Gebiet ADHS ist Dr. Heiner Lachenmaier. In seinem Buch „Mit ADHS erfolgreich im Beruf“ gibt er Betroffenen viele wertvolle Tipps und Strategien an die Hand und erklärt die Funktionsweise von ADHS.

Heiner Lachenmaier: Mit ADHS erfolgreich im Beruf

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Und wahrscheinlich war dann auch von deinen Lehrer*innen oder der Schule nie irgendwie der Begriff ADHS im Raum?

Nein, auf gar keinen Fall. Also es standen zum Beispiel Begriffe wie Borderline immer wieder im Raum, was jetzt rückblickend auch alles Sinn ergibt. Auf Stationen in Kliniken werden ADHSler und Borderliner*innen zum Beispiel zusammengelegt, weil sich viele Symptome ähneln – mit komplett anderen Ursachen allerdings. Aber ADHS stand als Diagnose oder nur Begriff in der Schule nie im Raum und ich wusste auch ganz, ganz lange einfach nicht, dass Frauen ADHS haben können.

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Die Diagnose ADHS pflegt noch ein Schattendasein. Kann man das so verallgemeinern?

Ja, für mich bis vor zwei Jahren auf jeden Fall auch. Mittlerweile bin ich so in der Bubble und ich habe viel Kontakt zu anderen ADHS-lern über Social Media. Aber davor hatte ich auch einfach keinen Grund, mich dafür zu interessieren. Vor allem, weil ich aus der Schule früher ein paar Jungs kannte, die ADHS hatten. Die haben immer alle unterbrochen und irgendwie fand ich das total nervig – deswegen bin ich auch gar nicht auf die Idee gekommen, dass ich AHDS haben könnte.

Gerade in diesem Zusammenhang, sich anpassen zu wollen und möglichst normal sein zu wollen, hat man dann – oder Frau – häufig eine Hürde, sich überhaupt untersuchen zu lassen. Denn das würde ja sozusagen bestätigen, dass irgendwas „nicht stimmt“. Wobei das ja auch überhaupt gar nichts Schlimmes ist! ADHS ist einfach eine Form von Neurodiversität, was einfach genetische Ursachen hat, was einfach auftritt. Wenn man sein ADHS nicht behandelt, dann hat es negative Folgen – ansonsten kann man das auch sehr gut als Stärke nutzen für verschiedene Situationen.

Stresssituationen sind cool! Und ganz normale Alltagssituationen, wo man irgendwas erledigen muss, aufräumen oder so … oh mein Gott, das ist die absolute Hölle.
Linda über die Triggerpunkte ihrer ADHS-Erkrankung

Wo siehst du die Stärken oder positiven Eigenschaften von ADHS?

Ein sehr großer Faktor ist die Kreativität. Die kommt dadurch zustande, dass ein Bestandteil von ADHS die fehlende Filterung von Informationen ist. Während neurotypische Menschen sehr gut in Alltagssituationen unterscheiden können, was jetzt wichtig ist und was nicht wichtig ist, weiß man das als ADHSler nicht. Oft ist man dann in Situationen, in denen man denkt: „Hilfe, oh mein Gott, was passiert?“ Es ist einfach alles total viel auf einmal und alles prasselt auf einen ein. Aber genau dadurch hat man auch grundsätzlich viel, viel, viel mehr Assoziationen zu allen Sachen. Und das ist natürlich ein Faktor, der Kreativität massiv unterstützen kann.

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Eine andere Sache, die auch damit zusammenhängt, ist, dass man sehr gut mit unbekannten Situationen umgehen kann. Viele ADHSler sind beispielsweise Notärzte oder Künstler. Erst vor Kurzem habe ich jemanden kennengelernt, der erzählt hat, dass er als Kind immer total gerne auf Bühnen gegangen ist – und jetzt ist er so Schauspieler. Man hat einfach, sehr oft als ADHSler damit zu tun, dass man nicht weiß, was los ist. Aber dadurch lernt man sehr gut, mit unbekannten Situationen umzugehen. Wenn man dann zusätzlich noch in einer Situation ist, in der viel Adrenalin ausgeschüttet wird, kann man sehr gut damit umgehen: Man ist plötzlich klar und man versteht die Welt, weil Dopamin ausgeschüttet wird. Und das fühlt sich dann einfach gut an, gerade in solchen Situationen ist man dann fein raus als ADHSler. Stresssituationen sind cool! Und ganz normale Alltagssituationen, wo man irgendwas erledigen muss, aufräumen oder so … oh mein Gott, das ist die absolute Hölle.

Hast du gewisse Triggerpunkte? In welcher Art und Weise kommt dein ADHS dir manchmal im Alltag vielleicht in die Quere?

Was für mich zum lange ein Thema war: Fristen, Deadline, Sachen pünktlich abgeben, überhaupt pünktlich zu Terminen zu kommen. Das habe ich immer noch. Da ist es dann wichtig, äußere Umstände zu schaffen, damit das funktioniert. Eine Schwierigkeit ist für mich auch immer noch anzufangen zu lernen, also generell das Anfangen. Da nutze ich zum Beispiel – das ist unter ADHS-Lernen sehr bekannt – das sogenannte Body Doopling. Dabei startet man einen Videocall und erzählt sich, was man in beispielsweise einer Stunde alles schaffen möchte, welche Aufgaben vor einem liegen. Dann macht man das Mikrofon aus und schaltet den Wecker ein. Dann, nach beispielsweise einer Stunde, kann man mit der anderen Person nochmal darüber sprechen, was man jetzt geschafft hat. So hat man dann eine äußere Instanz, die das noch mal überwachen kann. Das funktioniert für sehr viele sehr gut.

Ansonsten passieren mir so Sachen wie sehr, sehr oft mein Portemonnaie verlieren oder meinen Reisepass. Das ist wirklich schwierig, die Sachen bei mir zu behalten – also das passiert wirklich in einer Menge, die einfach ungewöhnlich ist. Letztens habe ich zum Beispiel meinen Schlüssel und meinen Haustürschlüssel und den Ersatzschlüssel auch noch verloren. Das war auch eine Geschichte – da musste natürlich das ganze Schloss vom Haus ausgetauscht werden. Und das ist nur zwei Monate, nachdem ich in die neue Wohnung eingezogen bin, passiert. Das sind Sachen, die im Alltag einfach nervig sind oder zu extra Aufgaben führen, die man sich auch gerne einfach sparen würde. Wie das Austauschen von den gesamten Schlössern des Hauses. Das nennt man auch ADHS-Steuern – das muss man dann einfach zahlen.

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Du bist auf Diagnose hin selbst aktiv geworden und hast zwei Instagram-Accounts gegründet. Dein deutscher Account hat fast 12.000 Follower und der englischsprachige sogar 72.000. Wie kam das alles zustande?

Tatsächlich war das eigentlich so eine Schnapsidee. Ich habe online recherchiert und geschaut, wie ich mich jetzt über meine Diagnose informieren kann. Oder ob ADHS bei Frauen eigentlich anders ist als bei Männern, oder, oder. Mein Neurologe hat mir tatsächlich gar nicht so viel dazu gesagt und ich habe mich relativ auf mich allein gestellt gefühlt. Es gibt allgemein sehr wenige Experten, die ausschließlich auf ADHS spezialisiert sind. Und manche haben Glück und kommen da in die Hände von einer solchen Person. Ich hatte das Glück nicht.

Meistens sind Bücher zum Beispiel nicht so das Medium, das geeignet ist für ADHSler. Und deswegen war bei meinen Instagram-Accounts auch so ein bisschen der Gedanke, die Sachen grafisch noch aufzubereiten, einfach in einer verständlichen Form. Und gerade auf Social Media, wo ja nicht alles, sagen wir, journalistische Qualität hat, fand ich das dann wichtig, das einzustreuen. So kommen viel mehr Menschen mit dem Thema in Berührung und fangen an, ADHS zu verstehen. Und für die Community ist das Gefühl, nicht mehr mit ihrer Erkrankung alleine zu sein, einfach toll.

Das gesamte Gespräch mit Linda kannst du hier in unserem desired-Podcast hören.

Und in dieser Bilderstrecke haben wir Tipps für dich gesammelt, wie du deine Psyche jeden Tag etwas Gutes zu kannst.

16 Dinge, die du jeden Tag für deine Psyche tun kannst

16 Dinge, die du jeden Tag für deine Psyche tun kannst
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Bildquelle: Linda/ADHSbeiFrauen

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