Stell dir vor, du stehst vor einem Marmeladen-Regal mit 24 verschiedenen Sorten. Denkst du: „Super, so viel Auswahl!“ oder eher: „Hilfe, wie soll ich mich da entscheiden?“ Die Antwort könnte der Schlüssel dazu sein, warum viele von uns sich so schwer damit tun herauszufinden, was ihnen im Leben wirklich wichtig ist.
Der amerikanische Psychologe Barry Schwartz machte während seiner Forschung eine Entdeckung, die unser ganzes Verständnis von Entscheidungen auf den Kopf gestellt hat: Bei einer großen Auswahl von 24 Marmeladensorten probierten 60 % der Kund*innen mindestens eine Sorte, aber nur 3 % erklärten sich auch dazu bereit, die Marmelade zu kaufen. Bei einer kleineren Auswahl von sechs Sorten probierten stattdessen zwar nur 40 %, aber 30 % der Kund*innen kauften auch ein Glas. Das ist das sogenannte „Paradox of Choice“ – und es sagt allgemein gefasst aus: Zu viele Optionen machen uns nicht glücklicher, sondern lähmen uns.
Genau dieses Phänomen erleben viele Menschen, wenn sie versuchen herauszufinden, was ihnen im Leben wichtig ist. Du suchst nach dem einen „wahren“ Wert, der dich erfüllt – dabei übersiehst du, dass es vielleicht gerade die Fülle der Möglichkeiten ist, die dich blockiert. Entdecke hier fünf simple wie geniale Wege, Klarheit zu gewinnen.
#1
Der Trick mit den drei Kategorien
Hier ist ein weiteres überraschendes Forschungsergebnis: Student*innen, die über ihre Werte schrieben, waren im Anschluss an das Experiment seltener krank und insgesamt fitter, hatten mehr Energie und eine positivere Einstellung. Die Stanford-Professorin Kelly McGonigal erklärte in einem TED-Talk, dass diese Übung eine der wirkungsvollsten psychologischen Maßnahmen, die je untersucht wurden.
Aber anstatt dir eine endlose Liste von Werten vorzulegen, mach es anders: Nimm dein Leben und teile es in nur drei Kategorien: Was gibt dir Energie? Was raubt dir Energie? Was lässt dich völlig kalt? Punkt. Nicht mehr, nicht weniger. Diese Vereinfachung bricht das Wahlparadox auf und lässt dich tatsächlich ins Handeln kommen.
#2
Die 24-Stunden-Werteanalyse
Führe drei Tage lang eine Tabelle, die du abends ausfüllst: Achte darauf, wann du dich den Tag über energiegeladen fühlst und wann nicht. Was lässt dich aufblühen? Bei welchen Aktivitäten denkst du „Das fühlt sich richtig an“ und vergisst Zeit und Raum? Und umgekehrt: Was lässt dich innerlich zusammenzucken und unwohl fühlen?
Diese spontanen Gefühlsreaktionen sind oft ehrlicher als das, was wir denken, dass wichtig sein sollte. Du wirst herausfinden, wer du bist und was dir wichtig ist. Dein Körper und deine Intuition geben dir bereits wertvolle Hinweise – du musst nur mehr und mehr lernen, sie wahrzunehmen.
#3
Das Anti-Perfektionisten-Prinzip
Dr. Schwartz (der vom Marmeladen-Experiment) unterscheidet zwischen „Maximizers“ und „Satisficers“. Erstere suchen beim Kauf immer nur so lange, bis sie ein Produkt gefunden haben, das dem selbst gesetzten Standard entspricht. Sie sparen Zeit und sind mit ihrer Wahl in der Regel zufrieden. Die „Maximizers“ wollen es indes ganz perfekt machen – und suchen sich dumm und dusselig.
Das gilt auch für deine Lebenswerte. Du musst nicht den EINEN perfekten Wert finden, der dein ganzes Leben definiert. Du brauchst nur ein paar Werte, die „gut genug“ sind und in dieser Lebensphase zu dir passen. Denn Werte müssen nicht immer in Stein gemeißelt sein. Diese Erlaubnis zur Unperfektion ist befreiender, als du denkst.
#4
Die Gegen-Erwartungs-Frage
Die Glücksforschung hat etwas Überraschendes herausgefunden: Der einzige äußere Faktor, der sehr glückliche von weniger glücklichen Menschen unterscheidet, sind gute soziale Beziehungen. Nicht das Gehalt, nicht der Job, nicht der Erfolg. Sondern die Menschen um uns herum.
Das bedeutet für deine Werte-Suche: Vergiss die klassische Frage „Was will ich im Leben erreichen?“ und stelle dir stattdessen vor: „Mit wem fühle ich mich am wohlsten?“, oder „Bei welchen Menschen kann ich ganz ich selbst sein?“
Jetzt der entscheidende Schritt: Schau dir deine Antworten an und frage dich: Was schätze ich an diesen Menschen? Ist es ihre Ehrlichkeit? Ihre Spontaneität? Ihre Zuverlässigkeit? Diese Eigenschaften sind oft ein direkter Spiegel deiner eigenen Werte. Menschen, bei denen wir uns wohlfühlen, leben meist ähnliche Werte wie wir.
#5
Das Rückspür-Experiment
Hier ist eine einfache, aber mächtige Übung: Denk an einen Moment in den letzten Wochen, in dem du dich richtig lebendig gefühlt hast. Nicht erfolgreich oder produktiv, sondern einfach voll da und energiegeladen. Was war da? Welche Menschen waren um dich? Was hast du getan? Wie war die Atmosphäre?
Schreib diesen Moment ungefiltert auf. Einfach so, wie er war. Das Verblüffende: Wissenschaftler*innen haben herausgefunden, dass das Schreiben über bedeutsame Momente dich stärker, selbstbewusster und mitfühlsamer macht. Es ist wie ein Energiebooster für dein Selbstvertrauen.
Die meisten Menschen übersehen diese lebendigen Momente, weil sie zu „gewöhnlich“ erscheinen. Aber genau da stecken oft deine wichtigsten Werte drin.
Fragen, Fragen, Fragen
Die meiste Zeit läuft unser Leben auf Autopilot. Wir reagieren, anstatt zu agieren. Regelmäßige kleine Fragen wie „Wie ging es mir heute?“ oder „Was hat mich heute gefreut?“ holen dich aus diesem Automatismus raus, ohne dass du gleich dein ganzes Leben umkrempeln musst.
Wenn du dir über Wochen immer mal wieder dieselben einfachen Fragen stellst, siehst du plötzlich: „Ach, montags geht es mir immer schlecht“ oder „Wenn ich mit Person X Zeit verbringe, bin ich danach total inspiriert.“ Diese Muster sind Gold wert, aber nur sichtbar, wenn du regelmäßig hinschaust.
Es reichen zwei bis drei Minuten und ganz einfache Fragen. Kein Druck, keine große Analyse (aber Ehrlichkeit!) – nur kurz innehalten und schauen, wie es dir gerade geht. Die großen Erkenntnisse kommen dann ganz von selbst.
Die richtigen Fragen für den Anfang:
- „Was würde ich tun, wenn Geld keine Rolle spielen würde?“
- „Worüber kann ich stundenlang sprechen, ohne müde zu werden?“
- „Welche Aktivitäten lassen mich die Zeit vergessen?“
- „Was bereue ich, nicht getan zu haben?“
- „Womit beschäftige ich mich, wenn niemand zuschaut?“
Fragen zu deinen Beziehungen:
- „Bei welchen Menschen fühle ich mich am meisten wie ich selbst?“
- „Was schätze ich an anderen – und was sagt das über meine eigenen Werte aus?“
- Und auch das Gegenteil: „Was nervt mich an meinem Partner/meiner Partnerin am meisten – und wieso?“
- „Welche Art von Unterstützung gebe ich gerne?“
Zur Vertiefung:
- „Was würde ich auf jeden Fall verteidigen, auch wenn es unpopulär wäre?“
- „Welche Erinnerungen aus meiner Kindheit fühlen sich noch immer bedeutsam an?“
- „Was möchte ich hinterlassen, wenn ich nicht mehr da bin?“
Hast du jetzt Lust, dich noch mehr zu fragen? Dann können wir dir dieses Buch „101 Fragen“ ans Herz legen.
Darum ist Journaling so kraftvoll
Was (psychologisch erwiesen) jedem Menschen richtig guttut: Tagebuch schreiben! Warum das so ist und wie du am besten startest, zeigen wir dir im Video.