Im Freistaat Bayern wird derzeit an einem Gesetzentwurf für den Umgang mit psychisch Kranken gearbeitet. Dieser soll unter anderem erlauben, dass Betroffene von der Polizei, ohne dass sie eine Straftat begangen haben, in Krankenhäusern festgesetzt werden dürfen. Dieser Vorstoß ist in meinen Augen ein Skandal, denn ich denke, dass ein solches Gesetz für psychisch Kranke nicht nur das Gegenteil von unterstützend, sondern auch der erste Schritt in einen Polizeistaat ist.
Das Gesetz, für das die bayrischen Regierung unter der CSU gerade einen Entwurf ausgearbeitet hat, wird „Bayerisches Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz” genannt. Ein Name, der zunächst positiv klingt. Doch im weiteren beinhaltet der Entwurf unter anderem, dass Betroffene unter Zwang in Krankenhäuser eingewiesen werden können, Besuche durch Angehörige eingeschränkt und kontrolliert, Telefonate überwacht, Wohnungen durchsucht und Handys oder Laptops einkassiert werden dürfen. Wie ist das mit Rechtsstaatlichkeit und Menschenwürde zu vereinbaren? In meinen Augen: Gar nicht.
Behandlung wie bei Straftätern vorgesehen
Menschen werden im Entwurf „Bayerischen Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz” aufgrund ihrer psychischen Erkrankung in vielen Aspekten mit Menschen gleichgestellt, die Straftaten begangen haben. Nicht nur, dass sie der Willkür eines Polizisten ausgesetzt werden können, der sie nach Gutdünken ihrer freien Bestimmung auf einen Aufenthaltsort berauben kann, ihre persönlichen Unterlagen durchsuchen darf oder den Kontakt zu Bezugspersonen einschränken kann. Im Entwurf ist auch vorgesehen, dass Menschen, die nach einem Klinikaufenthalt auf dem Weg der Besserung sind, sich wie Straftäter regelmäßig bei der Polizei melden müssen. Dieses Gesetz geht pauschal davon aus, dass jeder psychisch Kranke ein potenzieller Gewalttäter ist. Menschen müssten so fürchten, als diagnostizierte, psychisch Kranke auf ihre Persönlichkeitsrechte, Bewegungsfreiheit und Unschuldsvermutung verzichten zu müssen.
Entwurf: Bayerisches Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz, Art. 38
Mit diesem Gedanken im Hinterkopf werden sie vielleicht darauf verzichten, sich notwendige Hilfe zu suchen. Ich halte das für sehr gefährlich.
Datenmissbrauch mit sensiblen Information
Wer sich in Therapie begibt, muss nach diesem Gesetzesentwurf außerdem um die Sicherheit der eigenen Daten fürchten. Denn diese sollen an eine Zentralstelle weitergegeben werden. Diagnose, Befund und Therapie können an andere Behörden, darunter Verwaltung, Sicherheit und Justiz, weitergeleitet werden. Dazu werden sie mindestens fünf Jahre gespeichert.
Entwurf: Bayerisches Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz, Art. 33
Auch dieser Aspekt dürfte für Menschen sehr einschüchternd wirken, wenn sie nicht wissen, wer genau wann Einblick in ihre sensiblen Daten erhält. Die Speicherung für einen derart langen Zeitraum, ohne dass es einen expliziten Grund gibt, scheint für mich nicht rechtmäßig zu sein.
Ein Schritt zum Polizeistaat?
Entwurf: Bayerisches Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz, Art. 12
Warum entscheiden Polizisten, dass nicht straffällig gewordene Menschen weggesperrt werden sollen? Welche Deutungshoheit besitzen sie, wenn der Verdacht oder der Beweis eines Verbrechens nicht besteht? Ob psychisch kranke Menschen für sich oder ihre Umwelt gefährlich sind, sollte nur ein Arzt oder eine Ärztin feststellen dürfen und kein Mensch, der auf dem medizinischen Gebiet ein Laie ist. Wenn der Aufgabenbereichs der Polizei derart erweitert, ist das in meinen Augen ein Schritt zum Polizeistaat. Ein Polizist kann nach diesem Gesetz auch willkürlich handeln. Ich finde, die regierende CSU wirkt damit aktiv gegen die Werte der Demokratie und verhält sich verfassungsfeindlich.
Nicht zurück zur NS-Situation
In der Zeit des deutschen Nationalsozialismus wurden ebenfalls viele Menschen zwangseingewiesen, auch wenn sie weder für sich noch für andere eine Gefahr darstellten. Viele von ihnen wurden später ein Opfer der Euthanasie und von den Nazis ermordet. Viele Menschen fürchten, dass der bayrische Gesetzentwurf ein erster Schritt zurück in damalige Verhältnisse ist. Deshalb erinnern sie in den sozialen Medien an die Opfer der Zwangseinweisungen, die in Euthanasie endeten:
Der Protest ist laut
Am 10. Mai ruft in München ein Bündnis aus knapp 50 Organisationen zu einer Großkundgebung unter dem Motto „Kein Angriff auf unsere Freiheits- und Bürger*innenrechte!“ auf. Auf Facebook meldeten über 16.000 Menschen ihr Interesse an der Kundgebung an. Es würden außerdem bereits mehrere Klagen vorbereitet werden, die die Teilnehmenden unterstützen können. Der bayrische Ministerpräsident Markus Söder erklärte am Dienstag der Sueddeutschen Zeitung, dass der Schutz der Bevölkerung und der Betroffenen wichtige Güter seien und das Gesetz dem Rechnung tragen solle. Die Staatsregierung sei noch „offen für Veränderungen”. Hinter den Kulissen haben einige solcher Änderungen konkrete Form angenommen.
Wir wollen niemanden stigmatisieren und nehmen die Bedenken ernst.
Markus Söder (CSU), Sueddeutsche Zeitung
Am 14. Oktober findet in Bayern die Landtagswahl statt. Ich kann nur hoffen, dass Söder diese Worte ernst meint und er nicht anschließend wieder zurückrudert.
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