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Kommentar

Migräne ist nicht einfach nur Kopfschmerz

Migräne ist nie nur Kopfschmerz.

Bei dem Wort „Migräne“ denken viele Leute an etwas heftigere Kopfschmerzen. Immer wieder, wenn ich sage, dass ich Migränepatientin bin, wird das mild belächelt und mir werden verschiedene Schmerzmittel zur Behandlung von Fieber empfohlen. Viele Betroffene berichten darüber, dass sie mit ihren Schmerzen oft nicht ernst genommen werden. Auch ich habe solche Erfahrungen gemacht. Deshalb möchte ich eines klarstellen: Migräne ist alles, aber bestimmt nicht „einfach“ oder „nur Kopfschmerz“.

Migräne ist eine neurologische Erkrankung. Sie tritt, laut der Deutschen Gesellschaft für Neurologie, bei Frauen etwa dreimal so häufig auf wie bei Männern und hat ein vielseitiges und individuell bedingtes Krankheitsbild. Viele Personen haben mit Migräne und der Art, wie andere Menschen damit umgehen, schlechte Erfahrungen gemacht, wie der Thread dieser Person auf Twitter zeigt:

Ein anderer versucht sein Leiden mit Humor zu nehmen, denn er sieht, wie viele Migränepatienten offenbar Lichter:

Auch ich leide seit meiner Teeangerzeit gelegentlich an Migräneanfällen und möchte ein für alle Mal klären, dass das nichts mit klassischen Kopfschmerzen zu tun hat.

Migräne bei Erich Kästner

Als ich klein war, las ich die Geschichte „Pünktchen und Anton“, geschrieben von Erich Kästner in den 30er-Jahren. Pünktchens reiche Mutter, die sich nicht besonders gern mit ihrem Kind auseinandersetzen mag, legt sich in dieser Geschichte gern mal ins Bett mit den Worten: „Ich habe Migräne“. Erich Kästner, ein Schriftsteller, den ich ansonsten sehr verehre, sagt in dieser Situation „Migräne: Das sind Kopfschmerzen, die man gar nicht hat“.

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Möglicherweise wusste er nicht, was er dort schreibt, aber ich habe diese Beschreibung sehr lange geglaubt. Dann bekam ich selbst das erste Mal Migräne und wusste kaum, wie mir geschah. Übrigens: Schon Kinder können Migräne bekommen.

Meine erste Migräne-Attacke

Ich glaube, ich war etwa 13 Jahre alt. Bei einer größeren Feier waren viele Freunde der Familie bei uns zu Hause und ich sollte mit den Kindern spielen. Nach und nach wurde ich immer müder, meine Schläfen pochten. Es fühlte sich an, als würde ein harter Speer in meinem Schädel stecken und durch mein Auge stechen. Der Lautstärkepegel war hoch, alle schrien durcheinander, um gehört zu werden. Irgendwann konnte ich nichts mehr sehen. Wenn mich jemand am Arm anfasste, hatte ich das Gefühl unter dieser Berührung zu verbrennen. Irgendwann schloss ich mich im Badezimmer ein, kniete mich dort auf die Badezimmermatte und legte den Kopf zwischen die Knie. Dann drückte ich mit aller Kraft die Knie gegen die Schläfen. Nach einiger Zeit rebellierte mein Magen. Meine Mutter schaffte es schließlich, dass ich aus dem Bad kam, sie gab mir zwei Tabletten und verdunkelte ein abgelegenes Schlafzimmer.

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Doch der Schmerz ließ mich stundenlang nicht einschlafen, ich hatte das Gefühl jedes kleine Geräusch im Haus zu hören und davon brechen zu müssen. Am nächsten Morgen war der Schmerz weg. Meine Mutter sagte mir, dass ich Migräne habe, von meinen Eltern vererbt. Beide haben wohl bis heute gelegentlich mit solchen Attacken zu kämpfen. Ich konnte nicht glauben, dass es Migräne war, denn dieses Wort kannte ich nur aus „Pünktchen und Anton“.

Ich hatte mir diese Schmerzen eindeutig nicht ausgedacht. Schließlich erklärten mir meine Eltern, dass Migräne echt sei. Die Worterklärung von Kästner erklärten sie mir damit, dass dass Migräne oft durch physischen Stress ausgelöst wird und mehr Frauen als Männer darunter leiden. Eine mehr oder weniger weibliche Krankheit und die zur damaligen Zeit ausschließlich männliche Ärzte, die diese untersuchten, hielten sie womöglich für ausgedacht und nicht real. Vielleicht hat auch Erich Kästner mal als Kind gehört, dass Frauen sich ihre Leiden nur ausdenken. Es wäre ein interessanter Fall von Sexismus.

Mit Migräne ist nichts mehr möglich

Ich leide nicht oft unter diesen Anfällen und bin sehr froh darüber. Denn sind sie erst einmal da, hilft scheinbar nichts gegen die Schmerzen, die Übelkeit und die Hochsensibilität des Körpers. Aber wenn dieser Anfall kommt, bin ich vollkommen aus dem Leben getreten. Ich kann mich nicht mit anderen Menschen in einem Zimmer aufhalten, geschweige denn reden, lesen, fernsehen oder arbeiten. Ich kann nicht rausgehen, ich kann keinen Sport machen, ich kann nur im Dunkeln kauern, den Kopf zwischen die Beine klemmen und warten, bis es aufhört. Ich kann nichts sehen. Wenn ich die Augen schließe, kommen helle Blitze auf mich zugeschossen.

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Meist bin ich von dieser körperlichen Anstrengung, die mein Körper durchlebt, vollkommen erschöpft. Ich sehe einen eindeutigen Unterschied zu Kopfschmerzen: Dabei kann ich immer noch meinem Alltag nachgehen. Ich fühle mich nur im Kopf betroffen. Und sobald ich mir ein Kissen über den Kopf ziehe und schlafen gehen, kann ich diese durch etwas Ruhe und Wasser gut bekämpfen.

Bei Migräne geht oft nichts mehr.
Bei Migräne geht oft nichts mehr.E

Kater fühlt sich anders an

Auch der Katerkopfschmerz nach zu viel Alkohol ist ein ganz anderes Gefühl. Übelkeit und Schmerzen fühlen sich dabei nicht als Einheit, mit gutem Frühstück, Vitaminen und frischer Luft kann ich auch diesen Schmerz erfolgreich bekämpfen. Beide Schmerzvarianten lassen mich dennoch am Alltag teilnehmen und sind mit Ibuprofen behandelbar. Es gibt nur eine Gemeinsamkeit: Migräne ist auch ein Schmerz, der im Kopf stattfindet. Des Öfteren wurde mir vorgeworfen, ich sei verkatert, wenn ich in Wahrheit am Anfang einer Migräne stand. Ich benutze das nicht als Ausrede, ich weiß, wann ich worunter leide und ich schäme ich auch nicht, wenn ich mal wirklich einen Kater habe. Jeder hat mal einen Kater. Aber nicht alle Menschen haben Migräne und ich denke, dass daher das Unverständnis (wie das von Erich Kästner) kommt.

Einfach mehr Sport machen?

Bei Migräne fühle ich mich einfach nur hilflos: Es gibt nichts, was ich im Moment einer Attacke tun kann, um mich besser zu fühlen. Ein Arzt sagte mir mal, ich wäre zu jung für Medikamente und solle mehr Sport treiben. Ironischerweise mache ich fast jeden Tag Rückensport, der gegen skelettbedingte Schmerzen hilft. Migräne habe ich dennoch. Aber ich bin auch nicht die einzige Person, die im jungen Alter darunter leidet: Die Barmer Krankenkasse erklärte im Arztreport 2017 , dass der Altersgruppe der 18 bis 27-Jährigen ist die Zahl der Schmerzbetroffenen der Jahre 2005 und 2015 um 42 Prozent angestiegen. Die Ursache für Migräne ist bis heute nicht genau bekannt. Womöglich liegt es an verschiedenen Faktoren, die zusammenkommen. Es gibt aber Vermutungen, dass es an einer Störung der Neurotransmitter liegt.

Helena Serbent

Nehmt Migräne-Patienten ernst

Neulich habe ich mich zum ersten Mal um jemanden gekümmert, der einen Anfall hatte. Ich habe mich wieder hilflos gefühlt, natürlich auf eine andere Art. Ich wollte helfen und konnte kaum etwas tun. Aber ich wusste, dass es schlimmer ist, als nur mal eben Kopfschmerzen zu haben. Allein das, so sagte die betroffene Person, habe in diesem Moment schon etwas geholfen. Wenn also jemand mit Migräne eure Hilfe braucht oder von der Erfahrung erzählt, nehmt diese Menschen bitte ernst.

Es bringt nichts ihnen zu sagen, dass sie sich nicht „so anstellen sollen“. Das macht die Angst vor dem nächsten Anfall nur schlimmer, weil viele glauben, sie haben nicht das Recht darauf zu leiden. Gebt ihn dieses Recht, das Jammern, das Weinen, das Alleine- oder Nicht-alleine-sein-Wollen.

Helena Serbent
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Bildquelle: iStock/chombosan, iStock/eggeeggjiew