Auf TikTok posten immer mehr junge Frauen Videos mit der Bitte um „Beauty Blindness“-Feedback. Sie wollen wissen, was ihr blinder Fleck ist und was sie ändern könnten, um schöner zu sein. Was harmlos als Beautytipp-Austausch beginnt, kann schnell zum Selbstwert-Killer werden. Warum dieser Trend so problematisch ist und wie wir ihm begegnen können.
Was als „Blush Blindness“ oder „Eyebrow Blindness“ begann – Nutzer*innen, die wissen wollten, ob sie zu viel Rouge tragen oder ihre Augenbrauen „falsch“ geformt haben – hat sich zu einem bedenklichen Phänomen entwickelt. Unter dem Hashtag #BeautyBlindness fragen vorwiegend junge Frauen die TikTok-Community: „Seid ehrlich: Was ist meine Beauty Blindness?“ Also, was könnten sie ändern, um schöner zu sein.
Die Kommentare reichen von harmlosen Styling-Tipps bis hin zu verletzenden Aussagen über Gesichtszüge und Empfehlungen für Schönheitsoperationen „Omg, deine Nase ist viel zu groß!“. Was zunächst wie ein harmloser Austausch unter Freundinnen wirkt (schließlich fragen wir auch im echten Leben mal nach, ob unser Make-up sitzt) ist am Ende eigentlich nur (ein weiterer) digitaler Schauplatz für Selbstzweifel und fremde, fiese Urteile über das eigene Aussehen.
Der Trend verstärkt bereits vorhandene Unsicherheiten
Wer nach seiner „Beauty Blindness“ fragt, sucht eigentlich Bestätigung – hofft darauf, dass andere sagen: „Du siehst perfekt aus, ändere nichts!“ Stattdessen erhalten die meisten eine Liste mit Verbesserungsvorschlägen. Das Problem: Viele junge Menschen haben bereits Unsicherheiten bezüglich ihres Aussehens. Der Trend gibt diesen Selbstzweifeln eine Plattform und legitimiert sie sogar. Plötzlich wird das eigene Gesicht zum Projekt, an dem ständig gearbeitet werden muss.
Ein weiteres großes Problem: Der Trend normalisiert die ständige Selbstoptimierung. Beauty Blindness suggeriert, dass jede*r von uns blinde Flecken beim eigenen Aussehen hat – Bereiche, die „objektiv“ verbesserungswürdig sind. Diese Denkweise ist gefährlich, denn sie macht Selbstoptimierung zur Normalität. Anstatt das eigene Aussehen zu akzeptieren, wird es zur dauerhaften Baustelle erklärt. Vor allem, wenn es nicht mehr nur um Make-up oder Frisur geht, sondern um die Größe der Augen, der Nase, die nicht vorhandene Jawline und Co.
Fremde Meinungen werden wichtiger als das eigene Wohlbefinden
Der Trend macht deutlich, wie sehr junge Menschen – insbesondere Frauen – ihre Selbstwahrnehmung von fremden Urteilen abhängig machen. Anstatt zu fragen: „Gefalle ich mir?“, wird gefragt: „Wie kann ich anderen besser gefallen?“ Das eigene Empfinden tritt in den Hintergrund, während die Meinung von Fremden aus dem Internet zur Richtschnur wird. Diese Abhängigkeit von externer Bestätigung kann langfristig das Selbstwertgefühl massiv schädigen.
Plattformen wie TikTok und Instagram haben den Fokus auf Äußerlichkeiten bereits stark intensiviert. Filter, perfekte Beleuchtung und endlose Scroll-Sessions voller makelloser Gesichter setzen unrealistische Standards. Beauty Blindness ist gewissermaßen die logische Konsequenz: Wenn überall „Perfektion“ zu sehen ist, fühlt sich das eigene, unbearbeitete Gesicht automatisch mangelhaft an. Der Trend verstärkt diesen Effekt noch, indem er Optimierung als community-getriebene Aufgabe präsentiert.
Social-Media-Druck, der schwer zu verdauen ist
Doch wieso begeben sich User*innen überhaupt in dieses Haifischbecken Beauty Blindness? Therapeutin und Bestseller-Autorin Dami Charf erklärte dazu im desired-Interview, dass es gar nicht mal so einfach sei, gemeines Feedback einfach auszublenden. „Wenn irgendjemand, den du noch nie in deinem Leben gesehen hast, sagt ‚Ich finde deine Locken scheiße‘, dann soll es so sein – Pech für dich, guck es nicht an! Aber das Problem ist, dass wir soziale Wesen sind, dass wir sowas nicht ausblenden können. Wir können noch so sehr sagen, ‚Ich kenne diese Person nicht, die bedeutet mir nichts‘ – wir springen trotzdem darauf an, weil wir so gebaut sind.“ Wer sich online ständig mit anderen vergleicht oder mit negativen Kommentaren konfrontiert wird, verliert zunehmend an Selbstsicherheit, warnt die Therapeutin.
Bleibt beim klaren Bezug zum echten Leben
Wenn du dich dabei ertappst, nach deiner „Beauty Blindness“ zu fragen, halte kurz inne: Fühlst du dich wohl in deiner Haut? Dann brauchst du keine Optimierung. Und vielleicht würde es etlichen jungen Frauen sehr guttun, einfach mal ihr Handy wegzulegen und nicht jedem Trend blind zu folgen. Social Media kann uns vergessen lassen, dass Schönheit subjektiv ist und dass das wichtigste Urteil über unser Aussehen unser eigenes sein sollte.
Man kann es wohl nicht oft genug sagen: Am wichtigsten ist ein klarer Bezug zum realen Leben – echtes Feedback von wahren Freund*innen, wie auch Dami Charf betont: „Und wenn die sagen ‚Hey, das ist ja cool, was du machst‘, dann solltest du zuhören.“ Hatekommentare im Internet hingegen sollte man am besten komplett ignorieren. Denn wenn eine Flut fremder Meinungen auf uns einprasselt, führt das vor allem zu Stress und negativen Gefühlen.
Falls du Unsicherheiten hast, sprich lieber mit vertrauten Menschen darüber. Solchen, die dich als ganze Person sehen und schätzen und denen du vertraust. Die meisten „Makel“, die wir an uns sehen, fallen anderen gar nicht auf. Oft sind wir selbst unsere schärfsten Kritiker*innen. Statt nach Beauty Blindness zu suchen, könnten wir alle etwas mehr „Beauty Confidence“ gebrauchen – das Vertrauen darauf, dass wir gut genug sind, so wie wir sind.