Dein Kopf fährt Karussell und du kannst dich kaum auf eine Aufgabe konzentrieren, weil du dir schon über das nächste To-do Gedanken machst? Klingt ganz danach, als wäre dein Mental Load ziemlich hoch … Warum vor allem die jüngeren Generationen mit mentaler Überlastung zu kämpfen haben, warum das Ganze so gefährlich ist und was dagegen hilft, hat uns eine Psychologin verraten.
Was ist mit Mental Load gemeint?
Dr. Hanne Horvath, Psychologin und Mitgründerin der Online-Therapieplattform HelloBetter, erklärt Mental Load als „unsichtbaren Stress, der entsteht, wenn wir die ganze Zeit für alles und alle mitdenken“. Dafür verantwortlich ist laut Expertin die mentale To-do-Liste, die niemals Pause macht, um das eigene Leben, Familie, Haushalt, Berufliches und Privates auf die Reihe zu bekommen:
„Was fehlt noch im Kühlschrank? Wann ist der nächste Impftermin? Wer bringt das Kind zur Schule? Wer denkt an das Geschenk für den Kindergeburtstag? Dieses ständige Planen, Erinnern, Koordinieren kann unfassbar anstrengend sein – vor allem, wenn man es allein trägt. Und leider ist genau das oft der Fall: In vielen heterosexuellen Familien sind es vor allem Frauen, die für diesen organisatorischen ‚Backstage-Betrieb‘ zuständig sind. Ohne Applaus, versteht sich.“
Dass Mental Load unsichtbar ist (sogar im doppelten Sinne) ist am Ende auch das, was ihn laut Dr. Hanne Horvath so gefährlich macht: „Man sieht ihn nicht – aber man spürt ihn. Täglich.“
Wie macht sich ein (zu) hoher Mental Load bemerkbar?
Dieses ständige Funktionieren, dieses ständige Mitdenken hat dann irgendwann auch Konsequenzen. Als häufigstes Anzeichen für mentale Überlastung nennt Dr. Hanne Horvath das Gedankenkreisen: „Laut unserem aktuellen Mental Health Report (HelloBetter, 2024) geben 26 Prozent der Befragten an, Probleme damit zu haben, ihre Gedanken zur Ruhe zu bringen. Der Kopf ist immer ‚an‘ – ob beim Einschlafen, unter der Dusche oder im Gespräch mit anderen.“ Folgen können zum Beispiel Schlafprobleme, emotionale Erschöpfung, Antriebslosigkeit, Konzentrationsschwierigkeiten, innere Unruhe, Reizbarkeit und das Bedürfnis, sich zurückzuziehen, sein.
„Man fängt eine Aufgabe an, aber kommt nicht rein. Oder man springt gedanklich schon zum nächsten Punkt, noch bevor der erste abgeschlossen ist. Das Gefühl, nicht mehr Herr oder Frau der eigenen Gedanken zu sein, kann extrem belastend sein – besonders, wenn die Belastung über Wochen oder Monate anhält“, so die Psychologin.
Apropos: Langfristig ist mit Mental Load übrigens absolut nicht zu spaßen. Dann kann er nämlich „auf die körperliche und psychische Gesundheit schlagen – mit Kopfschmerzen, Verspannungen oder Magenproblemen“, wie die Expertin betont. „Wenn der mentale Druck dauerhaft hoch bleibt und keine Erholungsphasen möglich sind, kann sich daraus sogar ein Burnout entwickeln.“
Frauen leiden stärker als Männer – und Jüngere stärker als Ältere
Dass Frauen stärker von Mental Load betroffen sind, zeigt auch die repräsentative Befragung von 2.000 Menschen, die im Auftrag von HelloBetter durchgeführt wurde: 31 Prozent der Frauen, aber nur 22 Prozent der Männer gaben an, unter Mental Load zu leiden. Vor allem ins Gewicht fallen hierbei die Aufgaben im Haushalt von der Organisation bis zur Reinigung (27 Prozent Frauen, 18 Prozent Männer). Das ist allerdings nicht das Einzige, was in der Befragung auffällig ist: Jüngere Generationen leiden stärker unter Mental Load als ältere Generationen. Hier einmal im Überblick, wie groß der Anteil der Personen, die unter hohem oder sehr hohem Mental Load leiden, in den unterschiedlichen Generationen ist:
- Gen Z (1995 bis 2010): 32 Prozent
- Gen Y/Millennials (1980 bis 1994): 35 Prozent
- Gen X (1965 bis 1980): 28 Prozent
- Babyboomer (1946 bis 1964): 15 Prozent
Die Gründe für Mental Load sind sehr vielfältig. In der Befragung wurden unter anderem finanzielle Angelegenheiten (24 Prozent), Aufgaben im Haushalt (22 Prozent), die Menge an Aufgaben (21 Prozent) sowie die ständige Erreichbarkeit (18 Prozent) genannt. Der Grund, den alle Generationen am häufigsten nannten, ist jedoch ein anderer: der eigene Anspruch an sich selbst (26 Prozent). Besonders auffällig ist, dass dieser Punkt innerhalb der Gen Z sogar von 42 Prozent der Befragten genannt wurde. Woran liegt es also, dass der Anspruch an sich selbst gerade in den jüngeren Generationen so hoch ist? Und demzufolge auch der Mental Load?
„Soziale Medien können den inneren Druck und das Bedürfnis, allem perfekt gerecht zu werden, noch verstärken. Entsprechend ist es keine Überraschung, dass sich besonders die Digital Natives mit den eigenen (oft zu) hohen Ansprüchen an sich selbst kämpfen“ – so kommentiert Dr. Alena Rentsch, Psychologische Psychotherapeutin bei HelloBetter, die Ergebnisse der Studie. Es gibt allerdings noch weitere Gründe, die den Mental Load in den jüngeren Generationen verstärken, wie Dr. Hanne Horvath uns verraten hat:
- Enorme alltägliche Informationsflut: Jede freie Minute wird durch Nachrichten, Social Media oder Gruppenchats gefüllt. Das Gehirn kommt kaum noch zur Ruhe. Multitasking ist zur Normalität geworden, auch wenn es uns langfristig auslaugt.
- Gesellschaftlicher Druck: Inklusive der Erwartungshaltung, immer alles im Griff haben zu müssen: Job, Haushalt, Beziehungen, Gesundheit, Nachhaltigkeit, Achtsamkeit. Am besten mit einem Lächeln und in ästhetisch perfektem Instagram-Format.
- Weltsituation: Klimakrise, politische Spannungen, soziale Ungleichheit, steigende Preise – all das erzeugt unterschwellige Sorgen, die ebenfalls Platz in unserem mentalen System beanspruchen. Und dieser Platz fehlt dann für das, was uns eigentlich wichtig ist.
- Fehlende Grenzen: Wenn Arbeit und Privatleben immer mehr ineinanderfließen, wenn wir abends noch Mails beantworten und morgens vor dem ersten Kaffee an die Einkaufsliste denken, dann wird es eng im Kopf.
Was kann man gegen Mental Load machen?
Jetzt kennen wir die Hintergründe, aber viel wichtiger: Wie kann man Mental Load reduzieren und dafür sorgen, dass er früher oder später keine gesundheitlichen Folgen? Wir haben Dr. Hanne Horvath nach ihren Tipps gefragt – das ist die Antwort:
- To-dos benennen: Der erste Schritt, um damit besser umzugehen, ist ein Sichtbarmachen, was in deinem Kopf los ist. Was erledigst du jeden Tag, was denkst du mit, was vergisst du für andere nie, was läuft „einfach so“ nebenbei? Schreib's auf – komplett und ehrlich. Allein diese Übung kann ein echter Aha-Moment sein. Denn oft merken wir erst beim Aufschreiben, wie viele kleine und große To-dos wir den ganzen Tag mit uns herumschleppen – neben Job, Haushalt, Sozialleben und dem Versuch, auch noch irgendwie gesund zu bleiben.
Tipp: Wenn du in einer Partnerschaft oder Wohngemeinschaft lebst, macht das ruhig mal gemeinsam. Nicht, um jemandem vorzuhalten, was er oder sie alles nicht macht – sondern um sichtbar zu machen, wie viel da eigentlich unbemerkt passiert. Wer keine Aufgaben sieht, kann sie auch nicht fair übernehmen. - To-dos verteilen: Ob in der Beziehung, im Team, in der WG oder im erweiterten Familiennetzwerk: Wer sagt, was zu viel ist, kann auch klarer um Hilfe bitten – und Aufgaben abgeben. Und bitte: Nicht nur Teilaufgaben wie „Bring das Paket zur Post“, sondern ganze Prozesse wie „Organisiere die Rücksendung komplett“. Das entlastet wirklich.
- Gegenseitige Wertschätzung: Was oft vergessen wird, aber ebenfalls enorm hilft, ist Wertschätzung. Sag dir selbst (und anderen): „Ich sehe, was du alles tust – und das ist enorm.“ Wir sind oft so beschäftigt damit, zu funktionieren, dass wir die eigene Leistung gar nicht mehr wahrnehmen – geschweige denn anerkennen. Dabei kann ein einfacher Satz häufig schon Druck rausnehmen.
- Bewusste Reflexion: Einmal pro Woche für zehn Minuten innehalten. Was lief gut? Was war zu viel? Wo brauchst du Unterstützung? Wenn du merkst, dass du dauerhaft überfordert bist, darf die Antwort auch lauten: Ich muss etwas abgeben. Vielleicht an deine*n Partner*in, Freund*innen, Kolleg*innen, Nachbar*innen oder an professionelle Stellen. Mental Load muss nicht allein getragen werden – auch wenn sich das manchmal so anfühlt.
- Druck rausnehmen: Woher kommen diese Ansprüche eigentlich? Sind das wirklich deine Werte und Ziele – oder eher Erwartungen, die du übernommen hast? Von Eltern, Social Media, Kolleg*innen oder aus gesellschaftlichen Rollenbildern? Sich diese Frage aufrichtig zu beantworten, kann sehr befreiend sein. Ebenfalls sehr hilfreich: Sich mit dem Gedanken anzufreunden, dass „gut genug“ oft wirklich gut genug ist. Nicht jede Aufgabe muss perfekt sein. Nicht jeder Tag muss effizient, produktiv und durchgeplant verlaufen.
Wie können wir den Mental Load für Männer sichtbarer machen?
Dass 31 Prozent der Frauen, aber nur 22 Prozent der Männer von Mental Load betroffen sind, ist laut Dr. Hanne Horvath „kein Zufall, sondern das Ergebnis jahrzehntelanger gesellschaftlicher Prägung“. Die Rollenbilder würden sich zwar zunehmend verändern, doch die emotionale und organisatorische Verantwortung sei in vielen Bereichen immer noch ungleich verteilt. „Frauen denken, planen, organisieren oft automatisch mit – während Männer oftmals (nicht aus bösem Willen, sondern vermutlich aus Gewohnheit) vieles als ‚läuft doch‘ wahrnehmen“, so die Psychologin. „Genau hier liegt das Problem: Mental Load ist unsichtbar. Und was man nicht sieht, wird oft nicht als echte Arbeit erkannt.“ Um das zu ändern, rät Dr. Hanne Horvath folgendes:
- Sichtbar machen, was im Kopf passiert: Nicht im Sinne von: „Schau mal, wie viel ich leisten muss“, sondern als Einladung: „Lass uns gemeinsam verstehen, was hier eigentlich alles läuft – und wer dafür sorgt.“ Viele Männer sind durchaus offen, wenn sie verstehen, was Mental Load bedeutet – sie kennen das Gefühl der Überforderung ja selbst. Aber sie haben oft nie gelernt, darüber zu reden oder es im Familiensystem überhaupt zu hinterfragen.
- Konkrete Beispiele nennen: Nicht abstrakt sagen „Ich mache alles alleine“, sondern zeigen, was genau damit gemeint ist. Etwa so: „Wenn du sagst, du kaufst ein, dann bedeutet das für mich: Ich muss vorher den Einkaufszettel schreiben, überlegen, was wir kochen, und checken, was noch da ist. Du gehst dann einfach nur los – aber die eigentliche Planung bleibt bei mir.“ Das macht den Unterschied greifbar – und öffnet die Tür für echte Veränderung.
- Früh anfangen, Verantwortung neu zu denken: In Kitas, Schulen, Medien, Arbeitswelt – überall dort, wo Rollenvorbilder entstehen. Männer dürfen (und sollen) bei den Themen Care-Arbeit und Haushalt nicht nur „helfen“, sondern gleichwertig mitdenken, mitverantworten, mittragen. Nicht auf Zuruf, sondern eigeninitiativ. Das ist nicht nur fairer – es entlastet Beziehungen und macht Familien stärker.
- Sich erlauben, loszulassen: Nicht, weil wir uns „nicht mehr kümmern wollen“, sondern weil wir nicht alles allein tragen müssen. Verantwortung zu teilen bedeutet nicht Kontrollverlust – sondern Verbindung. Und die beginnt mit einem ehrlichen Gespräch.