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Kommentar

Impfen sollte nicht die Entscheidung der Eltern sein

Impfpflicht Meinung

Lange galt es als selbstverständlich, seine Kinder gegen gefährliche Krankheiten wie Masern oder Polio impfen zu lassen. Die Zahl der Impfgegner und -skeptiker hat jedoch weltweit zugenommen. Viele Eltern scheinen sich davon verunsichern zu lassen und wollen selbst über die Gesundheit ihrer Kinder entscheiden. Ich halte Impfgegner für unseriös und bin entschieden für die kommende gesetzliche Impfpflicht.

Der Boom der Impfgegner

Um einen Eindruck davon zu bekommen, was zum Thema Impfen publiziert wird, habe ich bei Amazon „impfen“ in die Suchleiste eingegeben – und war erschrocken über das Ergebnis. Unter den angebotenen Büchern finden sich viele Titel wie:

  • „Die Impf-Illusion: Infektionskrankheiten, Impfungen und die unterdrückten Fakten“,
  • „Die Masern-Lüge: Was Sie unbedingt über die Masern wissen sollten – und was die Gesundheitsbehörden Ihnen verschweigen“,
  • „Impfen, bis der Arzt kommt: Wenn bei Pharmakonzernen Profit über Gesundheit geht“
  • oder ganz dramatisch: „Nebenwirkung Tod“.
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Ähnlich sieht es aus, wenn man sich über das Thema via Google informieren will: Schnell landet man auf Seiten wie impfen-nein-danke.de oder zunächst seriös klingenden Angeboten wie Zentrum der Gesundheit – ein unwissenschaftliches Webportal, das wie verschiedene Quellen berichten, wohl von Verschwörungstheoretikern betrieben wird.

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Argumente in Comic Sans und Word Art

Wer bei den Anti-Impf-Büchern genauer hinschaut, wird merken, dass diese meistens von esoterischen Verlagen publiziert werden. Bei einem Herausgeber wie dem Kopp-Verlag, der sonst Bücher über die angebliche Heilkraft von Edelsteinen oder UFO-Sichtungen veröffentlicht, sollte man skeptisch sein. Auch wenn allein schon die Aufmachungen dieser Bücher und der zahlreichen Impfgegner-Webseiten trashig wirken (das Internet der frühen 2000er lässt grüßen), scheinen viele Eltern bei ihrer Recherche nicht zu merken, dass sie unseriösen Spinnern auf den Leim gehen.

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Eltern lassen sich von Impfgegnern verunsichern

Anstatt mit Argumenten wird auf solchen Seiten lieber mit übertriebenen Darstellungen des Impfens und mit der Denunziation anerkannter Wissenschaftler oder der Weltgesundheitsorganisation gearbeitet. Auch wenn ich bei meiner Recherche eher den gegenteiligen Eindruck hatte: Impfgegner stellen sich gerne so dar, als gehörten sie mit ihrer Meinung zu einer unterdrückten Minderheit, der man den Mund verbietet. So heißt es im Fazit des Einführungstexts von impfen-nein-danke.de: „Wer glaubt, daß Impfen nützt, der hat keine Bildung, sondern Indoktrination!“ Ich bin mit meiner Haltung also einfach nur gehirngewaschen. Auch die Medien werden kritisiert:

Die Mainstreammedien sind fast ausschließlich impfgläubig und industrienah. Impfgegner dagegen sind ausschließlich an der Wahrheit interessiert und stehen den Müttern und Vätern nah.
aus einem Artikel der Webseite impfen-nein-danke.de
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Vermutlich werde ich einen eingefahrenen Impfgegner dieser Art nicht überzeugen können, aber ich schwöre, dass ich für diesen Artikel nicht von der bösen Pharmaindustrie bezahlt werde! Spaß beiseite: Eine Studie der Universität Erfurt hat gezeigt, dass sich Eltern schnell von kurzen Recherchen auf Internetseiten wie diesen beeinflussen lassen. Ohne das nötige Vorwissen ist es gar nicht so einfach zu merken, wer hinter diesen Angeboten steckt. Dazu kommt, dass viele Eltern einfach das Beste für ihre Kinder wollen und sich von der Angstrhetorik der Impfgegner verunsichern lassen.

Aber verursacht Impfen nicht Autismus?

Wer sich durch die Texte von Impfgegnern wühlt, stellt fest, dass Impfen angeblich an so ziemlich allen Krankheiten schuld sein soll, die wir kennen: Ob Autismus, Allergien, Entwicklungsstörungen, Krebs oder Diabetes. Denn Impfen schwächt schließlich das Immunsystem, anstatt es zu stärken. Zahlreiche Verknüpfungen, insbesondere die zu Autismus, gelten mittlerweile als widerlegt. Dass Impfen Autismus auslöst, ist ein Mythos, der sich aufgrund einer britischen Studie verbreitet hat. Das Gerücht hält sich wacker, obwohl mittlerweile bekannt ist, dass hinter der Studie Anwälte steckten, die gewinnbringend gegen Impfmittelhersteller klagen wollten.

Beispiele wie diese gibt es viele. Dennoch werden Impfgegner nicht müde, sich kuriose Gegenargumente einfallen zu lassen. Einige sind sogar der Ansicht, dass es generell keine Viren gäbe, die Krankheiten verursachen. Um dich nicht zu sehr mit Studien zu langweilen, werde ich an dieser Stelle nicht weiter auf alle Behauptungen eingehen. Wenn du dich aber selbst informieren willst, kannst du dies auf der Webseite der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung tun. Empfehlenswert ist darüber hinaus eine Folge aus dem Zeit Verbrechen Podcasts über plötzlichen Kindstot: Hier hatten Impfgegner den Fall eines verstorbenen Kindes für ihre Propaganda ausgenutzt, obwohl dies nicht an Impfschäden verstorben war:

Impfkritik als Wohlstandsphänomen?

Mehr noch als die Widerlegung jedes Impfgegnerarguments interessiert mich, warum diese so viel Gehör finden. Denn eigentlich müssten die Vorkommnisse der letzten Jahre Eltern eher vom Impfen überzeugen: Im Oktober 2014 grassierte eine Masernwelle in Deutschland – nicht etwa in einem hinterwäldlerischen Dorf, sondern in Berlin. Gerade im Stadtteil Prenzlauer Berg, der bekannt für seine wohlhabenden Akademikereltern ist, ist man besonders impfkritisch.

Während Hilfsorganisationen wie UNICEF sich dafür einsetzen, dass Menschen in Entwicklungsländern Zugang zu lebenswichtigen Tetanusimpfungen bekommen, lehnen immer mehr Menschen hierzulande Impfungen freiwillig ab. Da liegt der Gedanke nahe, dass Impfkritik auch eine Art Wohlstandsphänomen ist: Wenn Menschen in ihrem Alltag nicht mehr mit lebensbedrohlichen Infektionskrankheiten konfrontiert sind, fangen sie an, an der Sinnhaftigkeit von Impfungen zu zweifeln. Dabei ist dieser Umstand der Beweis für die Effektivität von Impfungen als ein Grund, von nun an damit aufzuhören. Dieses Phänomen bezeichnet man als Herdenimmunität: Nur wenn ein nahezu flächendeckender Impfschutz besteht, ist die Gemeinschaft geschützt. Das genaue Prinzip kannst du dir hier erklären lassen.

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Nina Everwin

Aufklärung reicht nicht

Obwohl Impflücken fast ausgerottet geglaubte Krankheiten wie Masern wieder aufleben lassen, ist das Impfen in Deutschland nicht verpflichtend. Mit Ausnahme der CDU und FDP sind die anderen Parteien im Bundestag für Aufklärung und Entscheidungsfreiheit der Eltern, anstelle einer gesetzlichen Impfpflicht. Was sich so schön anhört, nämlich, dass Eltern durch wissenschaftliche fundierte Argumente überzeugt werden, funktioniert eher schlecht, wie das Beispiel Berlin zeigt.

Wenn sich selbst Akademikereltern mit Zugang zu Informationsangeboten lieber von Esoterikern überzeugen lassen, scheint Aufklärung seitens des Staates alleine nicht zu reichen. Ich vermute sogar, dass diese eher das Gegenteil bewirken kann: Viele Impfgegner sind staatlichen Organisationen gegenüber sowieso schon skeptisch eingestellt und werden ihre Meinung nicht durch das Lesen einer Broschüre ändern. In einer idealen aufgeklärten Gesellschaft würde dieses Konzept vielleicht aufgehen, in der Realität ist der Glaube daran naiv.

Auch wenn die Entscheidungsfreiheit des Einzelnen ein hohes Gut ist, finde ich an dieser Stelle den Schutz der Gesamtgesellschaft wichtiger. Würden Eltern, die ihre Kinder nicht impfen lassen, lediglich ihre eigene Gesundheit bedrohen, wäre das ja noch in Ordnung. Da sie aber die Gesundheit ihrer nicht mündigen Kinder aufs Spiel setzen und zur Verbreitung von Infektionskrankheiten beitragen, müssen sie wohl oder übel gezwungen werden.

Nina Everwin

Bildquelle: Getty Images/Sasiistock