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Interview

Thekla Wilkening über die Überforderung, durch Konsum die Welt zu retten

Thekla Wilkening Interview

Viele großen Konzerne und Modeketten erkennen jetzt erst, wie wichtig nachhaltig und fair hergestellte Produkte sind. Eine, die das schon früh erkannt hat, ist Thekla Wilkening. Bereits 2012 gründete sie mit der „Kleiderei“ den ersten Verleih-Service für Kleidung und berät heute Fashion-Ketten wie H&M in Sachen kreislauffähiger Mode. In ihrem neuen Ratgeber „Das Bio-Pizza-Dilemma“ gibt die 34-Jährige Tipps, wie man im Alltag nachhaltiger leben kann ohne sich komplett überfordert zu fühlen. Im Interview erklärt Thekla, warum nicht jeder einzelne mit seinem Konsum verantwortlich ist, die Welt zu retten und was es mit dem dreigeteilten Kleiderschrank auf sich hat.

Dies ist die gekürzte Version des Interviews. Das vollständige Gespräch kannst du dir im aktuellen desired-Podcast anhören!

desired: Bekannt geworden bist du durch die Gründung des Mode-Verleihs „Kleiderei“ und „Stay Awhile “. Beide Services wurden inzwischen eingestellt. Glaubst du trotzdem noch an das Konzept „leihen statt kaufen“?

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Thekla: Bei der „Kleiderei“ ist nur der Online-Service eingestellt, es gibt aber noch zwei unabhängige Offline-Stores in Freiburg und Köln, in denen man Kleidung leihen kann. Was ich tatsächlich infrage stelle ist, dass Unternehmen an Privatpersonen online über eine Webseite Kleidung verleihen. Da fehlt einfach der Community-Gedanke. Sharing Economy, also das Benutzen statt Besitzen von Dingen, hat ganz viel mit Community zu tun. Es geht darum, zu teilen und nicht einen Dienstleistungsservice zu beziehen. Daher denke ich mittlerweile, dass Offline-Geschäfte sinnvoller sind, weil sich so eine Community entwickeln kann. Oder, was jetzt auch verstärkt kommt, sind Apps, also Peer-to-Peer Rental. Das bedeutet, dass ich den Inhalt meines Kleiderschrank an andere User*innen direkt verleihe und so eine Community aufgebaut wird.

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Inzwischen gibt es einige andere Anbieter, die Kleidung vermieten. Meine Kollegin Johanna hat ein paar davon getestet und insgesamt ein positives Fazit gezogen. Glaubst du, ihr wart damals mit der Idee einfach noch zu früh dran, weil niemand das Konzept kannte?

Ja, wir waren auf jeden Fall sehr früh dran, noch vor der eigentlichen Fair Fashion-Bewegung. Es gab damals auch kaum Labels, die darauf hingewiesen haben, dass mit unserem Modekonsum – freundlich ausgedrückt – etwas nicht stimmt. Wir waren eigentlich schon einen Schritt weiter. Dinge zu hinterfragen, indem man aufzeigt, wie sie anders gehen können, ist ein guter Ansatz, über den es auch in „Das Bio-Pizza-Dilemma“ geht. Aber 2012 gab es noch kein kollektives Bewusstsein darüber, dass unsere Kleidung nicht ökologisch hergestellt wird und in der Regel auch nicht fair bezahlt. Wir hatten die Lösung für ein Problem, von dem die Menschen noch gar nicht wussten, dass es ein Problem ist.

Wann hast du zuletzt ein neues Kleidungsstück gekauft oder kaufst du nur secondhand und setzt ansonsten auf Leihen und Tauschen?

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Ich glaube an den dreigeteilten Kleiderschrank: ich glaube an It-Pieces, die wir uns auch selbst kaufen, weil wir sie einfach toll finden und weil Mode sich schon immer verändert. Eine Hose jetzt sieht anders aus als noch vor 10 Jahren. Manchmal möchte ich auch Sachen haben, weil es genau dem Gefühl der Mode entspricht, das ich gerade habe. Dann kaufe ich mir auch etwas. Bestimmte Sachen kann man aber auch secondhand kaufen, weil sie sich vielleicht doch nicht so sehr verändern über die Generationen. Zudem habe ich ein „Kleiderei“-Abo in Köln und habe gerade mein erstes Produkt in einer Peer-to-Peer-Plattform hochgeladen. Ich glaube fest daran, dass wir alles drei haben werden in Zukunft. Ich finde aber auch, dass die Entwicklung der Mode, die Modenschauen und der Zeitgeist, der dort gespiegelt wird, trotzdem sehr relevant ist.

Bei schnelllebiger Mode ist Leihen oder Tauschen durchaus sinnvoll. Viele fremdeln aber sicher noch mit dieser Sharing Economy. Glaubst du es dauert noch lange, bis Menschen diese Berührungsängste ablegen?

Ich glaube, ich habe eine sehr philosophische Antwort darauf. Man muss sich nur mal anschauen, wie schwer es Menschen überhaupt aktuell fällt, Freundschaften und Liebesbeziehungen zu führen. Es gibt oft kein Zwischending zwischen Einzelkämpfer und totaler Abhängigkeit. Generell sollte unsere Gesellschaft lernen, dass es auch etwas dazwischen gibt: Es gibt eine angenehme Nachbarschaft, es gibt gute Freund*innen, es gibt sehr gute Freund*innen und Menschen, mit denen man ab und zu einen Kaffee trinken geht. Das Miteinander muss selbstverständlicher werden und dieses Einzelkämpfer-Ding muss sich auflösen. Ich kenne so viele Start-up-Gründer*innen, die alle denken, sie müssten es alleine schaffen, weil wir uns nur auf uns selbst verlassen können. Wenn sich das nicht ändert, wird sich auch das Besitztum nicht auflösen. Bei einer funktionierenden Sharing Economy muss ich mich auf andere verlassen können.

Sharing Economy erfordert auch Eigeninitiative und Kommunikation mit anderen. Vielen Menschen in der Großstadt bereitet es aber schon große soziale Ängste, nur mal das Paket beim Nachbarn abzuholen. Das muss man dann ja erstmal lernen ...

Ja genau. Wir alle verlernen diesen normalen Kontakt miteinander. Einfach mal „Hallo“ sagen!

Manche sehen die Corona-Pandemie als Chance, nachhaltiger zu leben, weil viele jetzt darüber reflektieren, wie wir bisher gelebt haben. Andererseits geht doch die soziale Kompetenz eher verloren. Macht dir das Angst?

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Wenn du das jetzt so sagst, ja. Ich habe auch von vielen Leuten gehört, dass sie inzwischen Angst vor Berührungen haben, dabei ist es so wichtig, sich zur Begrüßung zu umarmen, um einen Kontakt herzustellen. Wenn das wegfällt, sind das auf jeden Fall Veränderungen, die uns Angst machen sollten. Auf der anderen Seite bin ich ein einhundertprozentiger Optimist. (lacht) Ich bin gefühlt mal in einen Topf voller Optimismus gefallen. Ich glaube schon, dass die Menschen das mittelfristig vermissen werden. Vielleicht müssen wir nochmal durch ein ganz tiefes Tal an Einsamkeit und Climate Anxiety, also die Angst vor dem Klimawandel, der einfach kommen wird. Danach wird etwas kommen, was einfach positiver ist. Wir werden merken, dass die Entschleunigung uns auch gut getan hat und wie anders wir Beziehungen während der Corona-Pandemie geführt haben, als in unserem sehr hektischen Alltag. Ob das für die Sharing Economy gut ist, oder nicht, das weiß ich noch nicht genau.

Viele stehen sich beim Kontakt mit ihren Mitmenschen selbst im Weg und sagen schnell, die seien zu introvertiert und können mit diesem Community-Gedanken nichts anfangen. In einer Stelle im „Bio-Pizza-Dilemma“ kritisierst du diese Einteilung in introvertierte und extrovertierte Menschen. Warum?

Das lag mir sehr am Herzen, weil wir uns nicht nur in der Arbeitswelt, sondern auch im Privatleben stark in diese beiden Kategorien einteilen und damit auch Grenzen ziehen. Wenn jemand zum Beispiel nicht sofort antwortet, gehen wir davon aus, dass er die Antwort nicht weiß. Dabei ist das vielleicht nur die Art und Weise, wie jemand kommuniziert. Wenn man extrovertiert ist, spricht man sehr laut und wir denken, die Person hätte besonders viel Ahnung oder fühlt sich besonders sicher. Das sind Vorurteile, die wir ablegen sollten. Wir alle kennen das, dass sich das auch verändern kann, je nach Gruppendynamik.

Viele denken, sie seien zu schüchtern für eine Party oder zu schüchtern, um bei den Nachbarn zu klingeln. Aber wer sagt denn, wie das aussehen muss? Man darf ja auch unsicher sein. Ich muss ja nicht klingeln uns sagen „Hey, ich will deine Bohrmaschine!“, sondern kann auch vorsichtig fragen: „Hey, es fällt mir etwas schwer, aber ich habe gesehen, dass du eine Bohrmaschine hast. Dürfte ich mir die vielleicht leihen?“

Weit verbreitet bei der Debatte um nachhaltigen Konsum ist die Einstellung: Entweder ganz oder gar nicht! Dabei gibt es auch etwas zwischen total nachhaltig leben und gar nicht, oder?

Ja, total! Eigentlich müssten wir alle sagen, dass wir nachhaltig leben, sobald wir anfangen, irgendetwas zu machen. Erst dann können wir etwas bewegen. Wenn wir so lange warten, bis wir perfekt nachhaltig leben können, werden wir für immer auf der Stelle treten.

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Eine Hauptaussage aus dem „Bio-Pizza-Dilemma“ ist, dass man nicht perfekt konsumieren und mit dem eigenen Konsum nicht die Welt retten kann. Diese Message könnte man auch als entmutigend empfinden ...

Ich meine damit, dass uns die kapitalistische Industrie seit einigen Jahren verkaufen möchte, dass wir mit unseren Kaufentscheidungen die Welt retten können und auch dafür verantwortlich sind. Wir können unseren eigenen CO2-Fußabdruck berechnen und dann schauen, wie wir diesen möglichst schnell reduzieren können – oder am besten gleich ausgleichen, denn das kostet wieder Geld. Das sind alles Sachen, die erstmal gut klingen und sind bestimmt auch nicht grundsätzlich schlecht zu bewerten. Einiges davon mache ich auch, ich würde zum Beispiel immer meinen Flug kompensieren. Grundsätzlich geht es mir aber darum, dass es sehr einseitig ist und mit Schuld aufgeladen. Wir tun selbst in Anbetracht aller Naturkatastrophen der letzten Zeit so, als könnten wir durch verändertes Einkaufen den Klimawandel in den Griff bekommen. Das ist gleichzeitig eine Unter- und Überforderung für Menschen, die eigentlich Bürger*innen sind, in dem Moment aber nur zu Konsument*innen werden, die nur mit ihrem Geld entscheiden können.

Im vollständigen Podcast-Interview erfährst du, wie man aktiv etwas als Bürger*in bewegen kann, anstatt nur nachhaltiger zu konsumieren:

https://open.spotify.com/episode/23HJWYYfXjkGOUM4OqRQ4O?si=DY1vvlqoSkCoXML0rsCLGg&dl_branch=1

Wo bei dir noch Handlungsbedarf besteht, kann dir unser Test verraten:

Wie umweltfreundlich ist dein Lebensstil?

Bildquelle: Denys Karlinksyy

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