Alle reden immer darüber, dass Sex doch die schönste Nebensache der Welt sei. Dass es da draußen allerdings etliche Menschen gibt, die unzufrieden mit ihrem Sexleben sind, wird kaum thematisiert. Doch damit ist jetzt Schluss! Denn ich habe mit einer Sexologin nicht nur darüber gesprochen, warum viele Menschen nicht den Sex haben, den sie sich wünschen, sondern auch, wie sie das ändern können.
Nur 46,1 Prozent der Deutschen sind mit ihrem Sexleben zufrieden – zu diesem Ergebnis kam eine aktuelle Umfrage von Deutsche Medz. Und ich bin ganz ehrlich: Als ich vor kurzem von dieser Sex-Studie gelesen habe, hat sich diese Zahl irgendwie in meinem Kopf festgebrannt. Denn das bedeutet ja, dass fast jede ZWEITE Person in Deutschland unzufrieden mit ihrem Sexleben ist. Eine traurige Bilanz, die mich allerdings – je mehr ich darüber nachdenke – eigentlich wenig überrascht. Und dass nicht nur, weil der Oragsm Gap bittere Realität ist und weibliche Lust auch heute gerne immer noch übergangen wird, sondern weil Sex ganz generell viel zu oft noch mit Druck, Scham und bestimmten Erwartungshaltungen behaftet ist. Kein Wunder also, dass Sex für viele Menschen am Ende eben nicht so ausfällt, wie sie sich das wünschen würden.
Dass viele in diesem Fall aber (zumindest laut der Studie) fast die Hälfte der Deutschen bedeutet, wollte mich dann doch nicht mehr loslassen. Denn woher kommen diese Unzufriedenheiten wirklich? Und was hindert uns auf der anderen Seite daran, unser Sexleben so zu gestalten, wie es sich für uns gut anfühlt? Oder anders gefragt: Wie sorgen wir für mehr Zufriedenheit? All das habe ich Lea Holzfurtner im Interview gefragt. Lea ist klinische Sexologin, TV Sex Coach, Podcasterin („Berlin intim“) und Autorin von „Dein Orgasmus“ – und damit genau die Frau, die uns all diese Fragen beantworten kann.
Warum sind so viele Menschen unzufrieden mit ihrem Sexleben?
Natürlich musste ich Lea als allererstes danach fragen, wo sie als Sexologin die Hauptgründe für das Ergebnis dieser Studie sieht. Ihre Antwort in der Kurzfassung? „Weil wir als Gesellschaft so viele falsche Dinge über Sex gelernt haben.“
Sie führt das Ganze auch sehr passend aus: „Wenn wir darüber nachdenken, wer uns etwas über Sex lehrt, dann sind das völlig überforderte Biolehrer*innen – die absurderweise erst seit 2019 mit Lehrbüchern arbeiten, in denen die Klitoris nicht nur als kleiner Knubbel oder Halbmond, sondern in ihrer vollen Größe, inklusive Schwellkörper und Eichel abgebildet wird. Es sind Ärzt*innen, Therapeut*innen und Gynäkolog*innen, denen wir uns bei sexuellen Schwierigkeiten anvertrauen, die aber in ihren eigenen Studienzeiten sträflich wenig über Lust oder gar sexpositive Beratungsgespräche gelernt haben. Und es sind die TV-Sendungen, Filme oder Songs, in denen es (oft nur nebenbei) um Liebe, Lust und Romantik geht – bei denen aber erst seit wenigen Jahren und bisher nur sporadisch Intimitätskoordinator*innen eingesetzt werden. Dann sind da noch Teenager oder Geschwister, die genauso wenig wissen wie wir, und unsere Eltern, Bezugs- und Bindungspersonen, denen es vorrangig aber um Schutz geht: vor sexuellen Übergriffen, ungewollter Schwangerschaft und übertragbaren Infektionen.“
Und klar, gerade letzteres ist natürlich als Aufklärung super wichtig, aber eben längst nicht alles. Denn Sex soll am Ende doch vor allem eines: Spaß machen. Doch woher sollen wir wissen, was Spaß macht und sich gut anfühlt, wenn niemand darüber spricht und uns in Filmen ja auch gerne mal weisgemacht wird, dass Frauen in gefühlten zwei Sekunden kommen, sobald der Typ einmal losgelegt hat? Wo bleibt bei all dem Gezeigten und der Aufklärung da bitte die Lust? Doch genau hier liegt laut Lea das größte Problem: „Über Lust und positive Sexualität haben wir nirgends etwas gelernt. Wir kennen kaum unsere eigene (Lust-)Anatomie!“

Hinzu kommt dann auch noch erschwerend, dass viele von uns nie richtig gelernt haben, über Sex zu sprechen. „Und darunter leidet nicht nur der Sex von Menschen mit Klitoris“, so die Sexologin. „Denn wie sollen wir Sex haben, den wir uns wünschen, wenn wir diese Wünsche nicht formulieren können, vielleicht noch gar nicht kennen, und uns definitiv niemals wagen würden, sie laut auszusprechen?“ Die Antwort: Es ist kaum möglich. Und da es kaum möglich ist, ist die logische Konsequenz, dass eben viele Menschen mit ihrem Sexleben unzufrieden sind – und es vielleicht auch bleiben.
Denn „das Skript, was echter Sex ist, sitzt tief. Wir haben gelernt, dass Sex Penetration bedeutet. Das bekommen wir in Pornos, RomComs, Romanen und Songs immer wieder erzählt und es gibt uns vor, wie Sex auszusehen hat, wie er startet, was wir gut finden sollen und wie und wann wir kommen sollen. Ein Skript, das im besten Fall als heteronormativ und uninformiert bezeichnet werden kann, im schlimmsten Fall als misogyn. Ein Skript, mit dem wir unseren tatsächlichen Sex vergleichen. Der Sex, den wir gezeigt bekommen, hat aber nichts mit echtem Sex zu tun“, erklärt mir Lea. Recht hat sie.
Denn seien wir mal ehrlich: Sex funktioniert in der Realität nun mal nicht so, dass zwei Menschen im scheinbar perfekten Takt miteinander verschmelzen und wirklich jedes Mal easy-peasy gemeinsam zum Orgasmus kommen, während die Schweißperlen am besten noch im Rhythmus der Musik den Bauchnabel runterperlen. Nein. Sex ist dreckig. Chaotisch. Witzig. Und manchmal eben auch einfach ein bisschen überfordernd. Denn da treffen nun mal zwei Menschen aufeinander, die irgendwie für sich herausfinden müssen, was sich zusammen gut anfühlt. Und wenn man das vielleicht selbst nicht mal weiß, kann’s natürlich kompliziert werden.
Was macht ein „gutes Sexleben“ aus? Und wie erreicht man das?
Aber vielleicht sollten wir an dieser Stelle noch einen Schritt zurückgehen und erst einmal klären, wie „guter“ Sex überhaupt aussieht. Und schon hier wird Lea ganz deutlich. So sei der erste Schritt, das (vielleicht sehr einseitige) Skript, das wir bisher über Sex haben, mal ganz schnell über Bord zu werfen. Denn: „Sexolog*innen definieren Sex nicht als Penetration, sondern als JEDE Aktivität, die dir Lust bereitet.“ Und diesen Satz würde ich am liebsten ganz laut in die Welt hinausschreien. Denn auch wenn es mittlerweile etliche Studien darüber gibt, dass sehr viele Frauen nicht allein durch die Penetration zum Orgasmus kommen, wird Sex eben trotzdem gerne noch genau damit gleichgesetzt. Dabei ist Sex, wie Lea auch formuliert, so viel mehr. Und ich wünschte wirklich, dass ich das für mich schon sehr viel früher in meiner sexuellen Laufbahn verinnerlicht hätte. Denn es gab definitiv Zeiten, in denen ich noch nicht „egoistisch“ genug war, auch meine eigenen Bedürfnisse „einzufordern“. In denen mein persönliches Skript also noch sehr stark von äußeren Einflüssen geprägt war. Dabei ist es so verdammt wichtig, „sich den Sex zu erlauben, den man wirklich erleben will, egal, wie weit er vom ‚Sex = Penetration‘-Skript abweicht“, so Lea. Doch da muss man natürlich auch erst einmal hinkommen.
Hier rät die Sexologin, sich zu fragen: „Was erlaubst du dir im Solo-Sex, das du dir in der partnerschaftlichen Sexualität nicht erlaubst? Was unterscheidet deine Masturbation vom Sex mit Partner*innen, z.B. hauptsächlich externe klitorale Stimulation, gemütliche Klamotten, bequeme Position, etc.?“ Heißt, es ist wichtig, sich und den eigenen Körper kennenzulernen, um so die eigenen „Bedürfnisse, Eigenheiten und Wünsche mit Partner*innen“ teilen zu können, wie Lea sagt. Ihr Tipp also: „Finde im Soloplay heraus, welche Berührungen dein Körper braucht und was dein Kopf benötigt, um mental in Erregung zu kommen. Und dann braucht es Kommunikation und einen Rahmen von Vertrauen, Transparenz, Empathie und Neugier, der diese Gespräche zulässt.“
An dieser Stelle verweist sie außerdem auf den Sexologen Dr. Marty Klein. Dieser hat nämlich einmal gesagt, dass es für ein erfüllendes Sexleben vor allem sexuelle Intelligenz brauche, welche er als 1. Wissen, 2. Körperbewusstsein und 3. Emotionale Fähigkeiten definiert. Lea stimmt da voll zu und führt es als „Wissen über menschliche Sexualität im Allgemeinen, Körperbewusstsein, im Sinne von, was wir individuell für Lust brauchen, und emotionale Fähigkeiten, um dieses Wissen mit Partner*innen zu kommunizieren“ aus.
Ich fasse also zusammen: Ein erfülltes Sexleben fängt bei DIR an – und DEINEN Bedürfnissen. Denn erst, wenn du weißt, was dich anmacht, kannst du das auch ins partnerschaftliche Sexleben mitnehmen.
Wie sorgt man (wieder) für mehr Lust und Zufriedenheit im Sexleben?
Doch natürlich kann man Zufriedenheit beim Sex – gerade auch in einer Beziehung – nicht als eine steigende Entwicklung beschreiben, die irgendwann ihren Höhepunkt erreicht und dann genau dort für immer bleibt. Denn Bedürfnisse können sich auch ändern – genauso wie die Dynamiken oder Umstände in langjährigen Beziehungen. Es reicht also nicht nur, sich anzuschauen, wie man allgemein für ein erfülltes Sexleben sorgt (indem man seine Wünsche und seine Lust-Punkte kennt), sondern muss auch bedenken, dass sich Lust verändern – oder sogar aus unterschiedlichen Gründen abnehmen – kann.
Hier ist es laut der Expertin wichtig zu schauen, wann und warum die Lust abnimmt und ob dieses Gefühl bei beiden Partner*innen gleichermaßen auftritt. Sie unterscheidet zwischen zwei Szenarien, bei denen du dir folgende Fragen stellen musst:
- Szenario 1: Ist Sex nur noch mit negativen Gefühlen verknüpft (Leistungsdruck, Schuldgefühle, Frustration, etc.) und vermeidet ihr deswegen schon jede Art von Berührung, um keine falschen Signale zu senden (z.B. auch nicht-sexuelle Berührungen wie kleine „Knutscher“ beim Kochen, eine Berührung, wenn man sich im Flur begegnet, eine Umarmung, wenn es los in die Arbeit geht, etc.)? Dann kann es total wichtig sein, erst mal diesen Druck rauszunehmen und euch aber trotzdem als Paar körperliche Nähe zu ermöglichen. Denn die kreiert Vertrautheit und Verbundenheit. Mein Tipp: Verabredet euch zum Streicheln, Kuscheln, Massieren oder Knuddeln und vereinbart explizit, dass kein Sex stattfinden wird (und spart gegebenenfalls eure erogenen Zonen aus). Erlaubt euch Nähe ohne Sex. Genießt einander.
- Szenario 2: Habt ihr das Gefühl, dass ihr gar nicht mehr (so oft wie früher) einfach spontan Lust auf Sex habt? Findet deswegen weniger Sex statt, weil beide (oder ein*e Partner*in) weniger Sex initiieren? Vielleicht hilft es euch zu verstehen, dass Lust und Sex nicht nur heiß ist, wenn sie spontan passieren. Tatsächlich empfinden viele Menschen Lust nur responsiv (also nicht spontan, sondern nur als Antwort auf einen Stimulus). Diese Art von Lust bleibt dann oft unentdeckt, weil viele Menschen auf spontane Lust warten. Mein Tipp: Packt euch Zeit für Sex in den Kalender und erlaubt responsiver Lust, sich zu entfalten, wenn ihr euch langsam und spielerisch auf sexuelle Berührungen einlasst, euch zu Fantasien austauscht oder gemeinsam ein sexy Audio oder Video nutzt.
Eines wird anhand dieser Tipps (und auch dem restlichen Artikel) also wahrscheinlich ziemlich gut deutlich: Sex, der einen wirklich zufrieden und happy macht, passiert nicht einfach. Nein, er bedeutet (Vor)Arbeit. Denn man muss sich nicht nur erst einmal selbst verstehen, sondern auch dranbleiben, wenn es anfangs vielleicht nicht sofort flutscht oder (und das betrifft vor allem langjährige Paare) irgendwann nicht mehr so gut läuft. Und auch Lea sagt ganz klar: Es beginnt immer mit einer Entscheidung. „Nämlich die, ob die gemeinsame Sexualität nun (wieder) Priorität haben soll. Entgegen der gängigen Meinung passiert ein fantastisches Sexleben nämlich nicht einfach so, sondern bedarf Arbeit. Ein gemeinsames Umordnen der Prioritäten – im Vergleich auch zu anderen Verpflichtungen wie Karriere oder Haushalt und Kindern, aber auch Hobbys und Sport – ist die Basis dafür, dass Veränderung stattfinden kann. Also, dass alle in den Prozess investieren und dass dem Sex überhaupt wieder genug Zeit gegeben werden kann.“
Und dann steht einem zufriedeneren Sexleben eigentlich kaum noch was im Wege!