Am Tag nach der Echo-Verleihung 2018 diskutieren alle nur über ein Thema: Trotz antisemitischer Textzeilen wurden Kollegah und Farid Bang zur Preisverleihung eingeladen und gewannen sogar eine Trophäe. Hätte der Ethikbeirat die Rapper ausschließen sollen? Sänger Campino positioniert sich in seiner Dankesrede als Einziger deutlich gegen Kollegah und Farid Bang, hält aber einen Boykott für kontraproduktiv – und ich muss ihm ausnahmsweise recht geben.
Update, 16. April: Die Veranstalter des Echo haben mittlerweile auf die Kritik reagiert. Wie Florian Drücke, Vorstandsvorsitzender des Bundesverbandes Musikindustrie (BVMI), auf Deutsche Welle erklärt, soll das Konzept der Preisvergabe in Zukunft erneuert werden. Der Verband lehne jede Art von Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit, Frauenfeindlichkeit, Homophobie und Gewaltverherrlichung ab und wolle verhindern, dass der Preis in ein schlechtes Licht gerückt wird. Wie diese Veränderung aber konkret aussehen sollen, ist bislang noch nicht bekannt.
Außerdem haben die Vorjahresgewinner des Echo in der Kategorie Klassik, das Notos Quartett, ihren Preis zurückgegeben. In einem Statement auf Facebook bezeichnen sie ihn als „Preis der Schande“, von dem sie sich entschieden distanzieren wollen. Und auch der als „fünfter Beatle“ bekannte Klaus Voormann, der dieses Jahr für sein Lebenswerk ausgezeichnet wurde, hat seinen Echo inzwischen zurückgegeben, wie das Magazin Meedia berichtet.
Eins vorweg: Ich war anders als meine Kolleginnen gestern Abend weder live vor Ort, noch saß ich gebannt vor dem Fernseher. Ich kann mit den Interpreten, die beim Echo ausgezeichnet werden, überhaupt nichts anfangen. Als ich dann hörte, dass Campino mal wieder mit einer Rede auf sich aufmerksam gemacht hatte, ahnte ich das Schlimmste. Ich hege eine starke Antipathie gegen den Tote-Hosen-Sänger und fand seinen Angriff auf Jan Böhmermanns Musik-Satire im Vorjahr einfach nur lächerlich.
Die umstrittene Textzeile
Diesmal ging es jedoch um ein ganz anderes Thema: Bereits im Vorfeld der Preisverleihung wurde darüber debattiert, ob die Nominierten Hip-Hop-Künstler Kollegah und Farid Bang ausgeschlossen werden sollten. Konkret ging es dabei um eine Textzeile aus dem Bonus-Track „08/15“, der sich auf dem Ende letzten Jahres erschienen Album „Jung Brutal Gutaussehend 3“ befindet. Dort heißt es: „Mein Körper definierter als von Auschwitzinsassen“.
Kritik regte sich nicht nur im Netz, sondern auch von Seiten des Internationalen Auschwitz Kommitees. Für den Vizepräsident Christoph Heubner sei die Nominierung der Rapper laut FAZ „für alle Überlebenden des Holocaust ein Schlag ins Gesicht und ein für Deutschland beschämender Vorgang.“ Anders aber als bei umstrittenen Nominierungen in den Vorjahren, wie etwa 2013 im Fall der Band Frei.Wild, hatte sich der Ethik-Beirat des Bundesverbands Musikindustrie gegen einen Ausschluss ausgesprochen. Es handele sich zwar um einen Grenzfall, jedoch seien „verbale Provokationen ein typisches Stilmittel im Battle-Rap“. Damit war die Diskussion jedoch lange nicht beendet, wie sich am gestrigen Abend zeigte.
Campinos Grenze ist überschritten
Campino hatte sich im Vorfeld nicht nur auf eine klassische Dankesrede für den Gewinn des Echos in der Kategorie „Rock National“, sondern auch auf ein Statement zu Kollegah und Farid Bang vorbereitet. Denn seine Gedanken über den umstrittenen Songtext las er vom Zettel ab. In seiner von zustimmendem Applaus begleiteten Rede sprach er über seine Zerrissenheit: Er habe sich gefragt, ob es besser gewesen wäre, die Veranstaltung wegen Unbehagen über die geschmacklosen Zeilen zu boykottieren. Doch dann sagte er etwas, bei dem ich ihn nur zustimmen kann:
Wer boykottiert, der kann nicht mehr diskutieren. Wer nicht diskutiert, überlässt das Feld den Anderen, die sich unter Umständen als Opfer darstellen, obwohl ihnen keine Opferrolle zusteht.
Campino beim Echo 2018
So schwer es mir auch fällt, das einzugestehen, da hat Campino tatsächlich etwas wirklich Vernünftiges gesagt! Ich halte die umstrittene Songzeile zwar für geschmacklos, aber mich besorgt in diesem Zusammenhang auch die Forderung nach Zensur und die Einschränkung der Kunstfreiheit. Daher begrüße ich es, dass Campino seine Rede anstatt mit einem Boykott-Aufruf, mit der Aufforderung zu einer Auseinandersetzung über Provokation und Kunstfreiheit abschließt.
Die vollständige Rede und Kollegahs und Farid Bangs Reaktionen auf Campinos Statement kannst du dir im Video ansehen:
Boykott auf Twitter: #IchGuckeKeinenECHO
Auf Twitter ernteten Campinos Worte großen Zuspruch. Neben dem offiziellen Hashtag #IchGuckeEcho trendete jedoch auch #IchGuckeKeinenECHO, unter dem User zum Boykott der Veranstaltung aufriefen.
In vielen Tweets wurde nicht nur Bezug auf die umstrittenen Textzeilen genommen, sondern auch darauf verwiesen, dass die Echo-Verleihung ausgerechnet auf den weltweiten Gedenktag für die Opfer des Holocaust gefallen ist. Der Vizepräsident des Internationalen Auschwitz Komitees empfand die Einladung Kollegahs und Farid Bangs auch daher laut der Faz als „mehr als makaber“.
Ich teile die Kritik an Kollegah, aber...
Es ist nicht so, dass ich die Empörung über die geschmacklose Textzeile nicht verstehe. Ich würde sogar so weit gehen, Kollegah Antisemitismus zu unterstellen, da er keinen Hehl aus seinem Weltbild macht. Bereits letztes Jahr hatte der Rapper aufgrund einer selbst gedrehten Palästina-Dokumentation für Diskussionen gesorgt, die den jüdischen Staat Israel als bösen Aggressor darstellt. Diese stereotype Zuschreibungen seien im Deutschrap, insbesondere bei Künstlern mit muslimischen Hintergrund, keine Seltenheit, wie der Journalist und ehemalige Hip-Hop-Labelbetreiber Marcus Staiger für die Bundeszentrale für politische Bildung schreibt. Ich empfehle die Lektüre dieses ausführlichen Artikels, da Ausführungen über die Zusammenhänge von Israel-Kritik und antisemitischen Verschwörungstheorien hier den Rahmen sprengen würde.
Jedoch weiß ich nicht, was eine Ausladung von Kollegah und Farid Bang oder eine Zensur des umstrittenen Songs bringen würden. Das Problem wäre damit schließlich nicht aus dem Weg geschafft. Vielmehr würden sich die Rapper dadurch – wie Campino richtig bemerkt – als Opfer darstellen und nur mehr Kultstatus erreichen.
Bildquelle: Getty Images/Andreas Rentz
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