Kennst du das: Du bist gerade mitten beim Sex und willst einfach nur den Moment genießen, doch anstatt dich wirklich fallen zu lassen, rasen die Gedanken: Sieht mein Bauch komisch aus? Warum schaffe ich es einfach nicht zu kommen? Und zack, wird der Moment, der eigentlich pure Lust sein sollte, zum Schauplatz deiner tiefsten Unsicherheiten. Keine Angst, du bist damit nicht allein! Welche Sorgen nämlich vor allem Frauen beim Sex am meisten plagen, woher diese kommen und wie wir sie wieder loswerden, habe ich eine Sexologin im Interview gefragt.
Wetten, meine Mascara hängt mir gerade im ganzen Gesicht verteilt? Oh ne, in dieser Stellung sieht mein Bauch ja richtig scheiße aus – einziehen! Jetzt hock ich hier auf allen Vieren, während der Typ da hinten vollen Blick auf die Dellen an meinem weißen Arsch hat. Schon wieder Rasierpickel – unangenehm!
Das da oben sind nur ein paar Sätze, die mir so oder ähnlich beim Sex schon mal durch den Kopf geschossen sind – und das teilweise so penetrant, dass ich mich rückblickend betrachtet wundere, wie ich nebenbei überhaupt noch irgendetwas anderes machen konnte. Den Sex genießen zum Beispiel. Obwohl, stimmt ja, genau hier liegt das Problem. Denn oft werden die Unsicherheiten in unserem Kopf beim Sex so laut, dass wir uns eigentlich auf nichts anderes mehr konzentrieren können. Ergo: Das Fühlen und Genießen geht irgendwo zwischen „Gleich sieht er meine Cellulite“ und „Was, wenn er mich nicht attraktiv findet?“ völlig unter. Und das ist doch verdammt traurig. Nur leider eben keine Seltenheit.
Das sind die größten Unsicherheiten von Frauen beim Sex
Laut einer Studie von Deutsche Medz haben sogar ganze 60 Prozent der Deutschen Unsicherheiten im Bett. Ganz vorne mit dabei liegt die Sorge, nackt nicht attraktiv auszusehen (12,9 Prozent). Mein jüngeres Ich hätte sich da ganz bestimmt mit dazugezählt. Denn auch wenn sich natürlich selbst heute noch gerne mal blöde Gedanken beim Sex einschleichen (vor allem, wenn PMS mal wieder so richtig reinkickt und ich eh alles schei** finde) bin ich mittlerweile echt ziemlich fein mit mir und meinem Körper. Und vor allem habe ich begriffen, dass es einen Grund hat, wenn da gerade ein Kerl mit MIR im Bett liegt. Und dass ihn garantiert auch keine kleine Delle „abschrecken“ wird, jetzt mit mir aufs Ganze zu gehen.
Aber gut, Unsicherheiten beim Sex beschränken sich natürlich nicht „nur“ aufs Äußere. Obwohl der Punkt, sich nackt nicht attraktiv zu fühlen, zu der größten sexuellen Unsicherheit deutscher Frauen gehört (18,5 Prozent), wie die Umfrage von Deutsche Medz zeigt. Doch kurz dahinter kommt auch schon die Angst, zu feucht oder nicht feucht genug zu sein (16,7 Prozent), gefolgt von der Sorge, dass sie überhaupt keinen Orgasmus bekommen (15,1 Prozent) oder zu lange dafür brauchen (14,5 Prozent). Die größten Unsicherheiten der Männer sind übrigens Erektionsstörungen und die Angst, zu schnell zu kommen. Ich möchte in diesem Artikel allerdings den Fokus auf Frauen und ihre Gedanken beim Sex legen. Vor allem, weil die Ergebnisse der Studie ja wieder einmal zeigen, dass sich Frauen – wie bei so vielen Dingen im Leben – auch beim Sex oft unter Druck gesetzt fühlen, „richtig“ zu reagieren – sei es nun durch Orgasmen (zur richtigen Zeit) oder andere körperliche Signale (zu feucht/ nicht schnell genug feucht).
Das falsche Sex-Skript! Wie äußere Einflüsse unser Bild von „richtigem“ Sex prägen
Doch woher kommen solche extremen inneren Erwartungshaltungen überhaupt? Und viel wichtiger: Wie kann man sie loslassen? Darüber habe ich mit der klinischen Sexologin Lea Holzfurtner im Interview gesprochen. Und so viel schon mal vorweg: Vieles hängt natürlich damit zusammen, welches Bild sich über Sex durch die verschiedensten Einflüsse über die Jahre hinweg bei uns festgesetzt hat. „Das Skript, wie Sex auszusehen hat, wie er startet, was wir gut finden sollen, wie wir dabei auszusehen haben, und wie und wann wir kommen sollen, sitzt tief. Wir bekommen es in Pornos, RomComs, Romanen und Songs immer wieder erzählt. Aber dieses Skript lässt sich im besten Fall als heteronormativ und uninformiert bezeichnet, im schlimmsten Fall als misogyn. Mit diesem Skript vergleichen wir den Sex, der uns zur Verfügung steht. Der Sex, den wir gezeigt bekommen, hat aber nichts mit echtem Sex zu tun“, erklärt mir Lea, die übrigens auch noch TV Sex Coach, Podcasterin („Berlin intim“) und Autorin von „Dein Orgasmus“ ist, direkt zu Beginn unseres Interviews.
Damit wir uns das besser vorstellen können, nehmen wir an dieser Stelle als allererstes mal den Punkt mit dem Feuchtwerden. Denn was steht dazu in unserem Skript? „Zum einen soll das natürlich schnell und mehr oder weniger von allein passieren, wenn wir unsere*n Partner*in begehren. Am besten noch, ohne dass wir Berührung an dem Lustorgan schlechthin, der Klitoris, erhalten haben. Und natürlich in einer bestimmten Menge (nicht zu viel, das ist dann eklig, aber auch nicht zu wenig, sonst bedeutet das irgendwas zwischen frigide und menopausal) und begleitet von Maracujageschmack oder Lavendelduft“, beschreibt Lea das Ganze, bevor sie unterstreicht: „Diesem Skript kann man nicht gerecht werden! Und in meinen Augen hat das auch System: Weibliche Lust ist einfach immer falsch – egal wie sie gelebt und erfahren wird.“
Und ich kann gar nicht sagen, wie sehr ich mich in Leas Beschreibungen wiederfinde. Denn ich könnte dir jetzt so einige Situationen nennen, in denen mich Typen völlig in ihrer Männlichkeit gekränkt angeschaut haben, weil ihr Adoniskörper allein mich gerade offensichtlich nicht zum Auslaufen gebracht und ich stattdessen nach Gleitgel gefragt habe. Dass es aber a) Gründe haben kann, warum eine Frau nicht oder kaum feucht wird (bei mir war damals zum Beispiel die Pille Schuld) und b) auch nicht einfach von allein passiert, wie Lea auch richtig sagt, will vielen überhaupt nicht in den Sinn kommen.
Menschen empfinden Lust unterschiedlich
Doch schon hier haben wir ja den nächsten wichtigen Punkt: „Menschen unterscheiden sich in der Art, wie sie Lust empfinden. Tatsächlich und konträr zum Skript empfinden nicht alle Menschen – egal welchen Geschlechts – Lust spontan“, so die Expertin. „Viele von uns empfinden Lust nur responsiv, also als Antwort auf einen Stimulus. Das kann etwas sein, das du hörst, schmeckst, fühlst, riechst oder siehst: Ein sexy ,Ich will dich‘, das dir von deinem Lieblingsmensch ins Ohr geflüstert wird, dein Lieblingsduft, der dir beim Spazierengehen plötzlich in der Nase liegt, oder das knutschende Pärchen in der S-Bahn, das dir gegenübersitzt.“

YES! Und genau das schreiben wir uns jetzt bitte alle mal hinter die Ohren. Denn irgendwie hält sich heutzutage immer noch viel zu sehr das Bild in unseren Köpfen, dass Sex immer spontan sein muss, um gut zu sein. Klar, in Filmen oder Serien sehen wir ja auch ständig, wie zwei Menschen völlig aus dem Nichts übereinander herfallen und den heißesten Sex ihres Lebens haben. Deswegen wird spontaner Sex auch gerne mal mit (mehr) Feuer und Leidenschaft in Verbindung gebracht. Ein Ruf, den responsiver Sex nicht unbedingt hat. Und natürlich ist es hot, wenn das Verlangen so groß ist, dass man sich alle Klamotten vom Leib reißen will … aber so easy klappt das mit der Lust nun mal nicht bei allen. Doch was wirklich schlimm an diesem Umstand ist, ist, dass Menschen, die eher responsiv Verlangen verspüren, oft denken, „dass mit ihnen etwas nicht stimmt, ihre Libido kaputt ist oder sie einfach gar keine Lust mehr haben können. Dabei benötigen Menschen, die Lust responsiv empfinden, einfach nur einen Stimulus, bevor sie Lust spüren. Das Skript vom spontanen Lusthaben ist für sie falsch.“
Fühle ich. Denn auch wenn ich mich definitiv spontan mitreißen lassen kann – gerade zum Anfang meiner Beziehung hat’s hier eigentlich ständig impulsiv im Karton gerappelt ;-) – gehöre ich generell sehr viel mehr zum Typ responsiver Sex. Ich brauche Reize, die mich in Stimmung bringen. Das kann manchmal allein eine zärtliche Berührung von meinem Boyfriend sein, ein „Ich hab so Lust auf dich“ in mein Ohr gehaucht oder vielleicht auch einfach irgendeine random Sache, die er macht. Neulich zum Beispiel hat er mir ungefragt abdunkelnde Vorhänge bestellt und damit dafür gesorgt, dass ich ab sofort nicht mehr um gefühlt halb 6 Uhr morgens von grellem Licht geweckt werde. Ein Mann, der mitdenkt und mir (oder auch anderen) hilft? SEXY!!
Doch bevor ich hier gleich total abdrifte und mich in kleinen Tagträumen verliere (auch ein guter Stimulus), zurück zur Studie. Denn neben dem Feuchtwerden treiben Frauen ja noch andere Sorgen um. Stichwort Orgasmus und sich nicht attraktiv fühlen.

Warum der Höhepunkt nicht alles ist
Fangen wir mit dem Orgasmus-Druck an, den viele Frauen verspüren – und ja, da zähle ich mich auch mit zu. Denn wenn mich etwas beim Sex gerne mal ausbremst, dann das Gefühl, dass mein Körper nicht schnell genug das macht, was er „soll“. Heißt: Beim Lecken zum Beispiel schaltet sich eigentlich schon nach kurzer Zeit mein Kopf ein und flüstert mir zu: Wenn du nicht gleich mal kommst, kriegt dein Boyfriend da unten wahrscheinlich 'nen Krampf in der Zunge. Die Konsequenz ist, dass ich mich eigentlich null mehr entspannen kann. Da zum Orgasmus kommen? Völlig unmöglich – und das, obwohl sich alles in dem Moment doch eigentlich so schön anfühlt. Aber genau hier liegt ja irgendwie das Problem. Denn ich glaube tatsächlich, dass viele Frauen beim Sex oft so krampfhaft damit beschäftigt sind, über einen Orgasmus nachzudenken (à la: Ich muss jetzt kommen!), dass sie es dadurch gar nicht richtig ins Fühlen schaffen. Aber wie auch, wenn sich das Skript hält, dass Sex irgendwie nur dann gut ist, wenn er mit einem HÖHEPUNKT endet? Allein das Wort baut ja schon Druck auf.
Darüber spricht auch Lea in unserem Interview. „Jetzt heißt mein Buch ja ,Dein Orgasmus‘. Bin ich also auch der Meinung, dass es beim Sex nur darum geht, einen Orgasmus zu erleben? Immerhin wird er ja sogar oft direkt ,Höhepunkt‘ genannt. Nein. Guten Sex macht viel mehr als ein Orgasmus aus. Ein Orgasmus ist nicht das ultimative Ziel“, so die Expertin, bevor sie ergänzt: „Hier können wir übrigens viel von lesbischem Sex lernen. Denn dort findet ein gegenseitiges und abwechselndes Geben und Fokus-Setzten statt – und kein automatisches Ende durch einen Orgasmus, wie das im heteronormativen Kontext oft der Fall ist.“ Jep. Denn auch wenn Ausnahmen natürlich die Regel bestätigen, ist der penetrative Sex zwischen Mann und Frau nun mal sehr oft dann vorbei, wenn ein Part – in den meisten Fällen der Mann – zum Orgasmus kommt. Das kann dann natürlich etwas unbefriedigend sein.
Jeder Mensch hat die Fähigkeit zum Orgasmus. Vielleicht hat es nur NOCH nicht geklappt, weil Hürden im Weg standen.
Denn auch wenn Sex definitiv auch ohne Höhepunkt wahnsinnig intim und heiß sein kann, sind „Orgasmen und der Hormoncoacktail, den sie uns schenken, natürlich wunderbar für uns und unseren Körper: Sie haben eine stimmungsaufhellende, antidepressive, sowie schmerzlindernde Wirkung (…), sie aktivieren unser Herz-Kreislaufsystem genauso wie Sport, sie beugen Inkontinenz vor, regelmäßig erlebt lassen sie uns jünger aussehen, bauen Stress ab, stärken unser Immunsystem, lassen unsere Periode regelmäßiger werden (toll für Familienplanung!) und stärken das Bindungsgefühl zu Partner*innen“, erklärt Lea. „Und ich finde, wir alle haben es verdient, uns diese tollen Benefits zu gönnen.“ Facts! Denn die Sexologin sagt auch: „Jeder Mensch hat die Fähigkeit zum Orgasmus. Vielleicht hat es nur NOCH nicht geklappt, weil Hürden im Weg standen. Betonung auf noch.“ Und klar, bei diesen Hürden spielen generelle Unsicherheiten beim Sex sicherlich auch eine Rolle. Sowie die Vorstellung, dass Orgasmen das ultimative Ziel beim Sex sind.
Dabei ist es wichtig, den Fokus mehr auf das gesamte sexuelle Erlebnis zu lenken. Wie? Lea hat da einen tollen Tipp: „Slow Sex kann ein schöner Weg sein. Beim Slow Sex geht es mehr um den Weg, nicht um das Ziel (oder den Orgasmus). Es geht darum, sich Zeit zu nehmen, jede Empfindung zu erkunden, die mit jeder Berührung an verschiedenen Körperteilen einhergeht, und sich auf den Atem zu konzentrieren, der einen mit sich selbst und/oder dem anderen in den gegenwärtigen Moment zurückbringt, anstatt auf den Druck, es ,richtig‘ zu machen.“ Alternativ könne man sich laut der Expertin auch einfach mal „zu nicht-sexueller Berührung“ verabreden (Streicheleinheiten und Co.), um zu schauen, wie sich das anfühlt. Denn je mehr Druck aus der Sache rausgenommen wird, desto „einfacher“ wird es am Ende vielleicht auch zu kommen. Es darf sich gedanklich einfach nur nicht alles darum drehen.
Wenn die Selbstbeobachtung die Lust blockiert
Aber klar, es ist natürlich manchmal gar nicht so easy, die lauten Gedanken abzustellen. Egal, ob es dabei nun um Orgasmen oder auch (und nun schließe ich den Kreis und komme wieder zum Anfang des Artikels) um das sich selbst Beobachten und Bewerten beim Sex geht. Sexolog*innen bezeichnen das Ganze übrigens als Spectatoring. „Und das hilft natürlich überhaupt nicht beim Lustempfinden. Tatsächlich ist es nahezu unmöglich, sich gleichzeitig über die zu lange Nase, den zu dicken Bauch oder die zu dünnen Unterschenkel Sorgen zu machen und Lust zu empfinden. Leider wachsen aber Menschen, die als Frauen gelesen werden, mit einem unglaublichen Druck auf, einem bestimmten Schönheitsideal zu entsprechen. Und mit dem vergleichen sie sich dann ständig – auch beim Sex. Letztens meinte eine Klientin zu mir: ,Das ist so schade, dass ich meinen Körper einfach nicht liebhaben kann, denn ohne ihn könnte ich Sex überhaupt nicht haben. Mein Körper ermöglicht mir erst Hautkontakt und Spüren und all das.‘“, erzählt mir Lea.
Wie sad also, dass wir (Frauen) uns trotzdem beim Sex von solchen Gedanken über unser Aussehen – oder auch andere Unsicherheiten – ausbremsen lassen. Ich musste die Sexologin an dieser Stelle natürlich direkt also fragen, wie wir da gegensteuern können. Lea empfiehlt hier Spiegel- oder Affirmationsübungen. „Frage dich: Wofür bist du deinem Körper dankbar? Was tun deine lange Nase oder die zu dünnen Unterschenkel für dich? Vielleicht sind sie es, warum du jeden Tag unglaublich schnell ins Büro radeln kannst. Und sie ist es, die dich den unglaublich betörenden Duft deines Gegenübers riechen lässt? Das allein ist ein erster Schritt, wirkt aber oft nur langsam gegen jahrzehntelanges Lernen anderer Empfindungen gegenüber deinem Körper. Mein SOS-Tipp mit schnellerer Wirkung: Versuche mal deine negativen Gedanken über deinen Körper oder deine Performance beim Sex nicht auszuschalten, sondern versuche sie durch Fantasien und Kopfkino zu ersetzen. Was meine ich damit? Statt an nichts zu denken und nur ins Fühlen zu gehen, nutze ganz bewusst deine Lieblingsfantasien solo oder beim Spiel mit Partner*innen, um deine mentale Erregung hochzufahren oder zu halten. Gönn dir Kopfkino!“
Ich finde, das ist doch ein schönes Abschlusswort, dem ich eigentlich nur noch ein paar Dinge abschließend hinzufügen möchte: Unsicherheiten und festgebrannte Skripts über Sex (und wie er vermeintlich zu sein hat) verschwinden nicht über Nacht. Aber ich hoffe, dass dir dieser Artikel nicht nur gezeigt hat, dass du damit (falls es dir ähnlich geht) nicht allein bist, sondern dass es Möglichkeiten gibt, diese Unsicherheiten kleiner und leiser in deinem Kopf werden zu lassen. Damit du das Sexleben führen kannst, das du verdient hast!